Im Ringen um den künftigen Zuschnitt der europäischen Forschungsförderung stehen sich das Europaparlament und der aus Regierungsvertretern bestehende EU-Rat momentan unversöhnlich gegenüber.
Die Abgeordneten pochen auf deutlich mehr Mittel als sie die Staats- und Regierungschefs im Sommer beschlossen hatten, als sie sich auf einem Marathon-Gipfel zwar auf ein billionenschweres Corona-Wiederaufbauprogramm einigten, die Forschungsförderung dabei aber unter die Räder kam (vgl. ZUSE TRANSFERNEWS 06/2020).
Nachdem sich der EU-Rat im Juli für Horizon Europe, das nächste mehrjährige EU-Forschungsrahmenprogramm von 2021-27, auf Mittel in Höhe von rd. 76 Mrd. Euro (nicht-inflationsbereinigt 85,5 Mrd. Euro) zuzüglich zweckgebundener Corona-Hilfen von rd. 5 Mrd. Euro verständigte, will das Parlament weiterhin deutlich mehr. „Das Minimum wäre der Kommissionsvorschlag“, sagte der für die Europäische Volkspartei (EVP) zuständige Berichterstatter Dr. Christian Ehler (CDU) vergangene Woche in einem Pressegespräch. Dieser Kommissionsvorschlag beläuft sich nicht-inflationsbereinigt auf rd. 94 Mrd. Euro, gegenüber 135 Mrd. Euro beim Europaparlament.
Warnung vor noch mehr Rückstand zu USA und China
Hauptargument der Abgeordneten für ihre Pläne: Die globale Wettbewerbsfähigkeit der Europäischen Union erhalten, die sich für 2020 das Ziel gesetzt hat, mindestens 3% des Bruttoinlandsprodukts für FuE zu verwenden, eine Marke, von der sie weit entfernt ist (s. Infografik der Zuse-Gemeinschaft). Besondere Bedeutung kommt insofern auch der angewandten Forschung zu Die Position des Rates, warnt CDU-Parlamentarier Ehler, „würde uns auf einen FuE-Anteil von 2% zurückwerfen“. Der Kommissionsvorschlag bringe die EU zwar nicht auf den angestrebten FuE-Anteil von 3%, „wäre aber Teil der Lösung“. „Die Lücke zwischen Europa einerseits und den USA und China andererseits würde eher größer statt kleiner werden“, warnte der CDU-Politiker aus Brandenburg.
Mit Deutschlands EU-Ratspräsidentschaft schreibt Ehler aktuell eine Schlüsselrolle der Bundesregierung zu, doch sieht er bei dieser „eher die Haltung, ‚Wir halten den Haushaltskompromiss zusammen‘“. Wohl kaum Hilfe ist von den „Sparsamen 5“ um Holland, Österreich und Nordeuropäer zu erwarten, die zwar eigentlich für eine Stärkung von Innovationen im Budget sind, aber auf keinen Fall mehr Geld für den EU-Haushalt aufbringen wollen. Auch Forschungspolitiker der "Sparsamen 5", so die niederländische Wissenschaftsministerin Ingrid van Engelshoven, haben sich zur Haushaltseinigung des EU-Rates ausdrücklich bekannt und versuchen Begehrlichkeiten der Parlamentarier abzuwehren.
Dr. Christian Ehler im Interview. Bildquelle: Martin Lahousse/EP
Run der Südeuropäer auf EU-Programme
Ein Mangel an Nachfrage nach Fördergeldern herrscht dagegen nicht. In vielen EU-Staaten dürfte die Bedeutung von EU-Programmen in der Forschung im Zuge der durch Corona verschärften und schon zuvor schwelenden Wirtschaftskrise hingegen zunehmen. Laut Ehlers Beobachtungen drücken südeuropäische Unternehmen „jetzt massiv in die europäischen Programme“, weil nationale Programme gekürzt würden.
Anders ist der Trend in Deutschland. So hat sich laut dem aktuellen DIHK-Innovationsreport der Anteil der Unternehmen, die für ihre Innovationen EU-Förderprogramme nutzen binnen drei Jahren auf 5% halbiert. Hingegeben nutzten 13% der befragten Firmen Förderprogramme des Bundes, auf Programme des Bundeslandes griffen demnach 20% zur Finanzierung ihrer Innovationen zurück.
Aktuell laufen die letzten Ausschreibungen von Horizon 2020, dem Vorgängerprogramm von Horizon Europe, an dem sich auch Institute der Zuse-Gemeinschaft erfolgreich beteiligt haben.
Die Forschungspolitiker des Parlaments wollen sich mit Blick auf den angestrebten Start von Horizon Europe zum Jahreswechsel zeitlich in den nächsten Wochen nicht unter Druck setzen lassen. Schließlich ist Horizon Europe inhaltlich weitgehend fertig. Ist einmal eine Einigung über den Haushalt erreicht, könnte man schnell loslegen, so die Hoffnung. In der Tat liegen Parlament, Kommission und Rat zwar bei der finanziellen Ausstattung des Forschungsrahmenprogramms in absoluten Zahlen weit auseinander. Bei der prozentualen Verteilung der Mittel sind sie aber auf Tuchfühlung, wie folgende Übersicht zeigt.
Diese Überblickstabelle mit den Haushaltsansätzen des aktuellen Verhandlungsstandes zwischen EU-Rat, Europaparlament und Europäischer Kommisison steht auch zum Download bereitsteht.
So soll auf die Säule 2 von Horizon Europe namens „Globale Herausforderungen und industrielle Wettbewerbsfähigkeit“ mit jeweils einem Anteil von mehr als 55% der Mittel das Gros der Ausgaben entfallen. Dabei geht es um industrienahe Forschung.
Fokusthemen
Auf die Bereiche Digitalisierung, Industrie und Weltraum einerseits sowie Klima, Energie und Mobilität andererseits sollen mit jeweils 16% am Gesamtbudget die größten Anteile innerhalb der zweiten Säule entfallen. Die Grundlagenforschung ist hingegen in der Säule 1 – Wissenschaftsexzellenz – von Horizon Europe untergebracht. Auch in diesem Bereich waren im auslaufenden Programm schon Projekte aus der Zuse-Gemeinschaft angesiedelt, so vom Institut AMO aus Aachen mit seinem Fokus auf der Nanotechnologie.
Forschungsförderung findet in der EU neben dem Forschungsrahmenprogramm ein Stück weit auch über Instrumente der Strukturförderung statt, so z.B. über das Programm INTERREG. Gefördert werden z.B. transnationale Netzwerke zwischen Forschenden. Ein Beispiel ist das Textil-Recycling Netzwerk ENTeR mit seiner öffentlichen Abschlusskonferenz Mitte November, an dem das Sächsischen Textilforschungsinstitut (STFI) beteiligt ist.
Für die Nachfolge dieser Strukturförderung ist anders als bei Horizon Europe die inhaltliche Ausgestaltung aber noch lange nicht abgeschlossen. Selbst wenn eine Einigung über den EU-Haushalt schnell zustandekommt, droht daher eine längere Förderlücke.
Je kürzer die Tage in den nächsten Wochen werden, desto stärker dürften die Parlamentarier unter Zugzwang geraten. Dem will man sich so lange wie möglich entziehen. Müsste man für ein Mehr von 10 Milliarden Euro im Programm dafür drei Monate Verzögerung in Kauf nehmen, so wäre das laut EVP-Berichterstatter Ehler in Erwägung zu ziehen.
Autor: Alexander Knebel
Stand: 2. November 2020