Portrait von Dr. Christian Rammer. Bildquelle: ZEW

Die Corona-Krise hat auf Umfang und Zielrichtung der Forschung und Entwicklung in der deutschen Wirtschaft einen deutlichen Einfluss. Das hat Dr. Christian Rammer vom Leibniz Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) gegenüber den ZUSE TRANSFERNEWS deutlich gemacht. Laut Erkenntnissen des Forschungsinstituts haben knapp 40 Prozent der forschenden Unternehmen laufende Projekte verlängert. Andererseits nahmen rund 20 Prozent der Unternehmen als Reaktion auf Corona zusätzliche Projekte in Angriff. Die Unternehmen müssen sich zudem neuen Herausforderungen stellen, wie z.B. das Erreichen von Klimaneutralität, wie Dr. Rammer. „Wer hier nicht mithalten kann, scheidet mittelfristig aus dem Markt aus. Insofern müssen sich auch die Investoren neu ausrichten und stärker eine mittelfristige Perspektive berücksichtigen“, erklärt der Leiter des ZEW-Innovationspanels. Einiges verspricht er sich von der 2020 eingeführten steuerlichen Forschungsförderung. Unabhängig von Fördermodellen warnt er vor heraufziehenden Gefahren für erfolgreiche Forschung und Innovation durch den Fachkräftemangel.

Herr Dr. Rammer, Corona hat in der deutschen Forschungslandschaft Spuren hinterlassen. Wie sehen die sichtbarsten nach Erkenntnissen des ZEW aus?

Dr. Rammer: Viele Unternehmen mussten aufgrund der Corona-Krise ihre FuE-Aktivitäten anpassen. Am häufigsten sehen wir eine Verlängerung von Forschungsprojekten, und zwar laut unserer aktuellen Erhebung bei 39 Prozent der forschenden Unternehmen. Jedes vierte Unternehmen berichtet, dass sich wegen ausbleibender Impulse und Ideen die Zahl der FuE-Projekte verringert hat. Allerdings haben 20 Prozent der forschenden Unternehmen als Reaktion auf die Corona-Pandemie zusätzliche Projekte in Angriff genommen, z.B. um neue Produkte zu entwickeln oder die internen Prozesse an die veränderte Situation anzupassen.

Wie erklären sie sich diese Reaktionen?

Der Grund für die Verlängerung von Projekten liegt auf der Hand: Durch die beiden Lockdowns und die starke Ausweitung von Home Office konnten viele FuE-Projekte nicht wie geplant umgesetzt werden. Die Projekte wurden zwar nicht aufgegeben, aber es waren Anpassungen beim Zeitplan nötig, vor allem wenn es sich um Kooperationen mit Dritten handelte. Die Verringerung der Anzahl durchgeführte Projekte wegen ausbleibender Ideen und Impulse zeigt die große Bedeutung der persönlichen Kommunikation und Zusammenarbeit für kreative Prozesse. Neues entsteht eben oft dann, wenn man sich interaktiv austauscht, informelle Gespräche führt oder auch zufällig Forscherinnen und Forscher aus anderen Arbeitsbereichen trifft und über die unterschiedlichen Projekte redet. Auch ist der Austausch zwischen der FuE-Abteilung und den operativen Bereichen enorm wichtig, um neue Ideen zu entwickeln. All das war in der Pandemie-Situation deutlich erschwert.

Gab es euch „Gewinner“ der Corona-Krise im Bereich der Forschung?

Die Forschung im Gesundheitsbereich hat natürlich sehr starken Auftrieb bekommen. So haben die größten forschenden Pharmaunternehmen in Deutschland ihre FuE-Ausgaben im Jahr 2020 um 20 Prozent erhöht. An der Spitze steht BioNTech, das sein FuE-Budget fast verdreifacht hat. Aber auch bei den IT-Dienstleistungen sehen wir starke Anstiege bei den Ausgaben für FuE und Innovation. Der Digitalisierungsschub, den die Pandemie gebracht hat, erforderte auch viele neue technische Lösungen und eröffnete den IT-Unternehmen viele neue Innovationsmöglichkeiten.

Lateral Flow Teststreifen in LabDisk DSC8104r Hahn SchickardInnovation in der Medizintechnik: Hahn-Schickard, ein Mitglied der Zuse-Gemeinschaft, entwickelt maßgeschneiderte Schnelltests für Proteinanalytik für verschiedene Formate, z.B. Lateral-Flow-Tests, Mikrotiterplatten oder mikrofluidische Plattformen. Bildquelle: Hahn-SchickardDie Gewinne großer Autohersteller haben im ersten Halbjahr 2021 Rekordniveau erreicht, während ihre FuE-Quote auf relativ niedrigem Niveau verharrte, wie eine aktuelle Auswertung zeigt. Welche Schlüsse lassen sich daraus aus dem Verhältnis von Profitabilität und Innovationstätigkeit ziehen?

Die Autoindustrie war unter den großen, forschungsstarken Branchen der deutschen Wirtschaft in einer besonderen Situation. Sie war als konsumnahe Branche - mehr als ein Drittel des Autoabsatzes geht direkt an Privatkäufer - stark von den Einschränkungen im Einzelhandel betroffen. Es kam zu einem deutliche Produktionsrückgang, und zeitweise war mehr als ein Viertel aller Beschäftigten der deutschen Autoindustrie in Kurzarbeit. Im Jahr 2020 machten viele Automobilunternehmen, insbesondere die Zulieferer, deutliche Verluste oder nur sehr geringe Gewinne. Viele Unternehmen, wenngleich nicht alle, reagierten darauf auch mit Einschnitten beim FuE-Budget. Im Durchschnitt ergab dies ein Minus von 5 Prozent bei den FuE-Ausgaben in 2020. Dies zeigt die enge Abhängigkeit der FuE-Tätigkeit vom laufenden Cashflow. Im aktuellen Jahr sieht die Gewinnsituation gerade für die großen Hersteller jedoch deutlich günstiger aus. Die Nachfrage nach Neuwagen ist aufgrund von Nachzieheffekten hoch, gleichzeitig bleibt das Angebot wegen der gestörten Lieferketten knapp. Das treibt die Preise in die Höhe, insbesondere durch den Wegfall von Rabatten.

An der Börse ist eine starke FuE-Tätigkeit nicht immer gut beleumundet. Wer viel forscht, verbrenne auch einiges an Geld. Eine Lesart, die eine Gefahr für den Innovationsstandort Deutschland bedeuten könnte?

In jedem Fall. Denn die Grundlage für die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie sind innovative, qualitativ hochwertige Produkte, die stets rasch an die sich wandelnden Kundenbedürfnissen, Marktbedingungen und technologischen Entwicklungen angepasst werden müssen. Das erfordert kontinuierlich FuE. Gleichzeitig müssen sich die Unternehmen neuen Herausforderungen stellen, wie z.B. das Erreichen von Klimaneutralität. Wer hier nicht mithalten kann, scheidet mittelfristig aus dem Markt aus. Insofern müssen sich auch die Investoren neu ausrichten und stärker eine mittelfristige Perspektive berücksichtigen.

… Umgekehrt müsste das bedeuten, dass im Mittelstand viel geforscht wird. Doch gerade KMU gelten als Sorgenkind des FuE-Standortes Deutschland…

Es wird durchaus viel im deutschen Mittelstand geforscht. Aber es gibt auch ein großes Potenzial an kleinen und mittelgroßen Unternehmen, die mehr forschen oder FuE-Aktivitäten neu aufnehmen könnten. Die im Jahr 2020 neu eingeführte steuerliche FuE-Förderung hat zum Ziel, hier zusätzliche Anreize zu setzen, die aus meiner Sicht die Projektförderung alleine nicht leisten kann. Eine große Hürde stellt allerdings der sich verschärfende Fachkräftemangel dar, und zwar sowohl bei Akademikerinnen und Akademikern wie auch im Bereich der beruflichen Ausbildung. In den nächsten Jahren werden mehr hoch qualifizierte Beschäftigte in den Ruhestand gehen als neu aus dem Ausbildungssystem nachkommen. Wenn hier nicht rasch Lösungen gefunden werden - sei es über eine verbesserte schulische Bildung, sei es über Weiterbildung, sei es über Zuwanderung - werden all die steuerlichen Anreize und direkten Fördermaßnahmen ins Leere greifen.

Die Fragen stellte Alexander Knebel, Pressesprecher der Zuse-Gemeinschaft.

Christian Rammer (ZEW) ist Projektleiter im Forschungsbereich Innovationsökonomik und Unternehmensdynamik des ZEW. Zu seinen Arbeitsschwerpunkten zählen Studien zur Innovationsforschung, zum Wissenstransfer Wirtschaft-Wissenschaft und zur Forschungs- und Innovationspolitik.

In den Stimmen für Forschung spricht sich Christian Rammer für eine verbesserte, auf die gemeinnützigen Industrieforschung zugeschnittene Projektförderung sowie einen erleichterten Zugang zu anderen Förderprogrammen aus.

Dieser Beitrag erschien zuerst in den ZUSE TRANSFERNEWS 06/2021