Während im April das Laschet-Söder-Duell um die Kanzlerkandidatur der CDU/CSU die Vorbereitungen zur Bundestagswahl auf der großen Politik-Bühne prägten, sind landauf landab wichtige Vorentscheidungen für das Parlament gefallen: Die Wahl von Direktkandidaten der Parteien. In Zeiten von Grünen-Höhenflügen sowie starker AfD-Präsenz einerseits und Umfrageflauten für die einst großen Parteien andererseits verspricht die Wahl am 26.9. viele spannende Duelle um den direkten Einzug ins Berliner Reichstagsgebäude.
Viel Bewegung wird es beim Personal für die Forschungs- und Innovationspolitik geben. Denn zahlreiche Abgänge stehen an. Das gilt vor allem für Union und SPD.
So tritt der Vorsitzende im Ausschuss für Bildung und Forschung, der 70-jährige SPD-Abgeordnete Ernst Dieter Rossmann, nicht mehr an. In seinem schleswig-holsteinischen Wahlkreis Pinneberg vor den Toren Hamburgs hat er mit Ralf Stegner einen prominenten Nachfolger als SPD-Kandidaten. Auf der Habenseite der Legislatur verbucht Rossmann „den Einstieg in die steuerliche Forschungsförderung, den Anfang für einen gut dotierten Startup- und Gründerfonds des Bundes, die Programmförderung für den Wasserstoff und die Energiewende, die neuen Mobilitätskonzepte und die Künstliche Intelligenz“. Die Agentur für Sprunginnovationen werde hoffentlich ein durchschlagender Erfolg, so Rossmann gegenüber den ZUSE TRANSFERNEWS. Als weltweit einmalig bezeichnete der SPD-Mann die garantierte jährliche Steigerung von 3 Prozent beim Pakt für Forschung und Innovation für Fraunhofer, Helmholtz, Max-Planck und Leibniz Gemeinschaft. Das müsse gesichert bleiben.
Wie schon Rossmann, so muss sich Stegner gegen den Inhaber des Direktmandats, Michael von Abercron, durchsetzen. Der CDU-Mann hatte 2017 mehr als neun Prozentpunkte vor Rossmann gelegen. Im Bundestag sitzt der promovierte Agrarwissenschaftler von Abercron aktuell im Forschungs- ebenso wie im Agrarausschuss. Das ist auch deshalb interessant, weil viele Landwirtschaftspolitiker der Union, darunter der Agrar-Ausschusschusvorsitzende Alois Gerig, im September nicht mehr antreten und Agrar-Expertise in der Unionsfraktion ein knappes Gut werden könnte.
Bleiben und Gehen in NRW-Hochburgen der CDU
Nicht mehr antreten wird zur Bundestagswahl am 26.9. auch Rossmanns bisherige Stellvertreterin im Forschungsausschuss, Sybille Benning (CDU), aus dem Münsterland. Bennings Nachfolge als CDU-Direktkandidat tritt der bisherige Landtagsabgeordnete Stefan Nacke an, der sich in einer Kampfabstimmung durchsetzte. Die Region ist traditionell eine Hochburg der CDU. Das gilt noch mehr für die nördlich von Münster gelegenen ländlichen Regionen, wo Bundesforschungsministerin Anja Karliczek im Wahlkreis Steinfurt 3 das Direktmandat hält und auch zur nächsten Wahl antritt.
Auch andere ländliche Regionen in NRW sind CDU-Bastionen, so das Sauerland. Hier hatte 2017 der Stv. Vorsitzende des Wirtschaftsausschusses im Bundestag, Matthias Heider (CDU), den Wahlkreis Olpe/Märkischer Kreis mit rund 48 Prozent der Erststimmen geholt. Heider, er ist Mitglied im Senat der Zuse-Gemeinschaft, tritt im Herbst nicht mehr an, sein Nachfolger als CDU-Direktkandidat ist der erst 33-jährige Florian Müller, während Friedrich Merz im Nachbarwahlkreis den CDU-Mandatsinhaber Patrick Sensburg in einer Kampfabstimmung herausforderte, die für Merz ausging. Mit Blick auf die Corona-Krise erklärte Heider, viele Unternehmen hätten die Zeit für FuE-Sonderaktivitäten genutzt. „Das stimmt mich positiv und ich bin froh, dass wir als Bundestag an den Grundlagen dafür mitwirken konnten, gerade im Hinblick auf den mittelständischen Bereich“, so Heider in einem Fazit.
Erneutes Ministerduell im Saarland
Wie Karliczek, so wird auch ihr Kabinetts- und Fraktionskollege Peter Altmaier aus dem Saarland aller Voraussicht nach dem nächsten Bundestag angehören. Altmaier tritt im Wahlkreis Saarlouis an, und zwar erneut gegen Außenminister Heiko Maas von der SPD, den Altmaier mit 38 Prozent der Erststimmen und sechs Prozentpunkten Vorsprung 2017 auf Platz zwei distanzierte.
Stefan Kaufmann in Stuttgart wieder gegen Cem Özdemir
Spannung garantiert ist im Kampf um ein Direktmandat wieder für den CDU-Abgeordneten Stefan Kaufmann, der sich in der ablaufenden Legislatur als Wasserstoffbeauftragter des Bundesforschungsministeriums profiliert hat. Wie schon 2017 tritt er im Wahlkreis Stuttgart 1 gegen Cem Özdemir an. Bei der letzten Wahl konnte Kaufmann den damaligen Spitzenkandidaten der Bündnisgrünen mit einem Vorsprung von knapp vier Prozentpunkten auf Platz 2 verweisen. Bei der anstehenden Wiederholung des Duells ist Özdemir anders als 2017 nicht Spitzenkandidat der Grünen im Bund, doch hat er viel bessere Umfragewerte seiner Partei als bei der letzten Wahl im Rücken.
Das kann andererseits die Sozialdemokratin Yasmin Fahimi nicht behaupten. Ihre SPD kam bei der letzten Bundestagswahl bundesweit im Schnitt auf 20,5 Prozent der Zweitstimmen und liegt momentan in Umfragen unter der 20-Prozent-Marke. Fahimi konnte sich im traditionsreichen Wahlkreis 42, dem südlichen Hannover, den einst die SPD-Forschungsministerin Edelgard Bulmahn innehatte, 2017 gegen CDU-Bundesprominenz durchsetzen: Fahimi lag mit 33,7 Prozent der Erststimmen rund 5 Prozentpunkte vor der heutigen EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, die fest in Niedersachen verwurzelt ist. Diesmal hat Fahimi es mit der CDU-Lokalpolitikerin Diana Rieck-Vogt als Kontrahentin um das Direktmandat zu tun.
Aus Niedersachsen für Forschung und Innovation ebenfalls wichtig: Der Berichterstatter für den Haushalt des Bundeswirtschaftsministeriums, Andreas Mattfeldt (CDU), der Osterholz-Verden im Bundestag vertritt und sich wieder zur Wahl stellt, ebenso wie seine Fraktionskollegin Kerstin Radomski aus Krefeld in NRW, die seitens der Union im Bundestag als Berichterstatterin für den Haushalt des Bundeforschungsministeriums fungiert.
SPD-Berichterstatter treten nicht wieder an
Anders die Kollegen Mattfeldts und Radomskis vom Koalitionspartner SPD: Es ziehen sich sowohl der SPD-Berichterstatter für den Haushalt des Bundeswirtschaftsministeriums, der Sachse Thomas Jurk, wie auch Swen Schulz, der bislang für den BMBF-Haushalt zuständig war, aus der Bundespolitik zurück. Schulz hatte bislang den Wahlkreis Berlin-Spandau für die SPD verteidigt. Im benachbarten Charlottenburg will Michael Müller am 26.9. ein Direktmandat holen. Der bisherige Regierende Bürgermeister von Berlin ist im Senat derzeit auch für die Wissenschaft zuständig. Er soll von der bisherigen Bundesfamilienministerin Franziska Giffey beerbt werden, so denn die SPD abermals die Regierungsspitze stellen sollte nach den ebenfalls am 26.9. stattfindenden Wahlen zum Abgeordnetenhaus. Zudem wählen an diesem Tag Thüringen und Mecklenburg-Vorpommern ihre Landtage im 5-Jahres-Turnus.
Kampf um gute Plätze auf den Landeslisten
Nicht um Direktmandate, sondern um aussichtsreiche Plätze auf den Landeslisten zur Bundestagswahl geht es für innovations- und forschungspolitische Prominenz der (bislang) kleineren Parteien. Bei den Bündnisgrünen wurde die Mittelstandsbeauftragte der Fraktion, Claudia Müller, auf Platz 1 der Landesliste Mecklenburg-Vorpommern gewählt. Müller ist derzeit allerdings auch die einzige Abgeordnete ihrer Partei aus dem nordöstlichen Bundesland, was sich nach der Wahl ändern könnte. Ihre Fraktionskollegin Anna Christmann wurde in Baden-Württemberg auf Platz neun der Landesliste gewählt. Das sollte für die Sprecherin für Innovations- und Technologiepolitik ein sicherer Platz sein, selbst wenn nicht nur Özdemir ein Direktmandat erobern sollte. Kai Gehring in Nordrhein-Westfalen schaffte es auf Platz 16 der dortigen Grünen-Landesliste, was dem Sprecher der Bundestagsfraktion für Forschung, Wissenschaft und Hochschule ebenfalls in eine sehr aussichtsreiche Position bringt, wenn die Grünen bei den Wahlen auch nur annähernd in Tuchfühlung ihrer aktuellen Umfragewerte kommen sollten.
Ähnliches gilt unter ganz anderen Vorzeichen für Petra Sitte von Die Linke. Die Stellvertretende Fraktionsvorsitzende und Forschungspolitikerin wurde in Sachsen Anhalt auf Platz 2 der Landesliste ihrer Partei gewählt, hinter Jan Korte. Bislang stellt Die Linke vier Abgeordnete aus Sachsen-Anhalt im Bundestag. Petra Sitte sitzt wie Yasmin Fahimi, Claudia Müller, Matthias Heider und Nicola Beer (FDP) im Senat der Zuse-Gemeinschaft.
Fachleute für Netzpolitik unterschiedlich platziert
Nicola Beer wechselte 2019 ins Europaparlament. Fraktionssprecher der Liberalen im Bundestag für Innovation, Bildung und Forschung ist nun Thomas Sattelberger. Er brachte es auf den sicheren Platz 5 der Landesliste Bayern seiner Partei, wo auf Platz 10 der Würzburger FDP-Abgeordnete Prof. Andrew Ullmann rangiert. Bislang stellt die FDP in Bayern 13 Abgeordnete für den Bundestag.
In Baden-Württemberg brachte es der Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion für Studium, berufliche Bildung und lebenslanges Lernen, Jens Brandenburg, auf Platz 8 der Landesliste, in einem Bundesland mit derzeit zwölf Abgeordneten seiner Partei. In Rheinland-Pfalz steht dessen Namensvetter und Forschungspolitiker Mario Brandenburg auf Platz 3 der Landesliste und damit auf einer für den Wiedereinzug ins Parlament sehr aussichtsreichen Position. Derzeit stellt die FDP vier Bundestagsabgeordnete aus Rheinland-Pfalz. Ungemütlicher ist es daher für Manuel Höferlin auf Platz 5 der Landesliste Rheinland-Pfalz. Höferlin ist Vorsitzender des jüngsten Ausschusses im Bundestag, dem seit 2013 bestehenden Ausschuss Digitale Agenda, der sich netzpolitischen Themen rund um die Digitalisierung fachübergreifend annimmt.
Komfortabler sieht es für andere Netzpolitiker aus. Der digitalpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Tankred Schipanski aus Thüringen, wurde wieder als Direktkandidat für den Gotha-Ilm-Kreis nominiert, wo er 2017 rund fünf Prozentpunkte vor der AfD gelegen hatte.
Die Netzpolitische Sprecherin von Die Linke, Anke Domscheit-Berg, wurde auf Platz 2 der Landesliste Brandenburg gewählt, hinter dem ehemaligen stv. Ministerpräsidenten Christian Görke. Konstantin Notz von den Bündnisgrünen belegt Platz vier auf der Landesliste in Schleswig-Holstein, von wo die Grünen bislang drei Abgeordnete nach Berlin entsenden. Die bisherigen Abgeordneten rutschten einen Platz nach hinten, um Platz für Robert Habeck an der Spitze zu machen.
Trotz des noch neuen Ausschusses Digitale Agenda setzten sich die Abgeordneten in der ablaufenden Wahlperiode in gleich zwei Enquete-Kommissionen mit Digitalthemen auseinander, so in einer zu „Künstliche Intelligenz - Gesellschaftliche Verantwortung und wirtschaftliche, soziale und ökologische Potenziale“. Die Kommission legte einen 800 Seiten starken Schlussbericht vor. Der Bericht der Enquete Kommission „Berufliche Bildung in der digitalen Arbeitswelt“ wird noch vor der Sommerpause erwartet.
Autor: Alexander Knebel, Pressesprecher der Zuse-Gemeinschaft