Berlin / Aachen, 19. Februar 2025. „Was können wir für die transferorientierte Forschung tun?“ Unter diesem Motto stand der Austausch von Vertretern der Deutschen Industrieforschungsgemeinschaft Konrad Zuse e.V. (Zuse-Gemeinschaft) und der Allianz für Industrie und Forschung e.V. (AIF) mit den Bundestagsabgeordneten Lukas Benner (Bündnis 90/ Die Grünen), Ye-One Rhie (SPD) und Katharina Willkomm (FDP) sowie dem Mitglied des Rats der Stadt Aachen, Holger Kiemes (CDU), am Institut für Boden- und Raumsysteme an der RWTH Aachen e.V. (TFI), einem Mitglied der Zuse-Gemeinschaft.



Zuse PM 250219c Gruppenbild zur PM Ende der Industrieforschung
Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Austauschs zwischen
Wissenschaft und Politik am TFI in Aachen. | Foto: TFI / Zuse-Gemeinschaft


Im Gespräch formulierten die Vertreter der Wissenschaft die Hoffnung, die Politik möge die transferorientierte Forschung wieder als Motor für Innovation erkennen. Dazu ordneten sie die innovations- und transferorientierte Forschung, dritte Säule des deutschen Wissenschafts- und Forschungssystems, in Abgrenzung zur Produktentwicklung ein. Mit Blick auf mögliche Folgen für den Mittelstand warnten sie vor einer weiteren Vernachlässigung dieses Wissenschaftszweigs, stellten den Vertretern der Politik Vorschläge zum Abbau bestehender Hemmnisse vor und skizzierten Erwartungen an eine zeitgemäße innovations- und transferorientierte Forschungspolitik (siehe Anhang).

Bürokratische Hemmnisse und viel zu geringe Mittelausstattung gefährden Industrieforschung

Daneben berichteten Vertreter weiterer Forschungseinrichtungen aus dem Großraum Aachen, darunter die Zuse-Mitglieder Access e.V., Forschungsinstitut für Wasserwirtschaft und Klimazukunft an der RWTH Aachen (FiW) e.V. und OWI Science for Fuels gGmbH, über die praktischen Auswirkungen von Forschungshemmnissen – beispielsweise hohe bürokratische Hürden, die zähe Bearbeitung von Anträgen und eine viel zu geringe Mittelausstattung der Forschungsförderprogramme – auf ihre Arbeit.

„Innovations- und transferorientierte Forschung – kurz: Industrieforschung – ist weit mehr als empirische Wald- und Wiesenforschung, die lediglich kommerzielle Produkte und Dienstleistungen entwickelt. Sie ist ein vorwettbewerblicher, gleichrangiger Forschungsbereich und als Brückenbauer zwischen Wissenschaft und Wirtschaft die dritte Säule des deutschen Wissenschafts- und Forschungssystems neben Grundlagen und anwendungsorientierter Forschung“, so Hon.-Prof. Dr. Jacqueline Lemm, Leiterin des TFI und Mitglied des Präsidiums der Zuse-Gemeinschaft. „Die hohen bürokratischen Hürden, die unzureichende Mittelausstattung sowie das mangelnde Bewusstsein für die Bedeutung der Industrieforschung für mittelständische Unternehmen gefährden die Konkurrenzfähigkeit und den Vorsprung des Rückgrats unserer Wirtschaft im internationalen, weltweiten Vergleich.“ Sie unterstrich die Bereitschaft der Zuse-Gemeinschaft, an einer Beseitigung der Hemmnisse und einer Stärkung der Industrieforschung kooperativ, konstruktiv und lösungsorientiert mitzuwirken.

Rohstoffe Deutschlands stecken nicht im Boden, sondern in den Köpfen der Menschen

AIF-Vorstand Thomas Reiche ergänzte, man könne die aktuellen Herausforderungen und Transformationsprozesse nur durch Innovationskraft bewältigen. Er verwies darauf, dass Deutschland ein Land sei, dessen Rohstoffe nicht im Boden, sondern in den Köpfen der Menschen steckten. Dazu Lemm: „Branchenübergreifend, technologieoffen und vor allem transferorientiert agieren die Forschungsinstitute der Zuse-Gemeinschaft bundesweit zugunsten des Mittelstands in Deutschland. Hier entstand und entsteht weit mehr als die Basis für Wettbewerbs-, Zukunfts- und Weltmarktfähigkeit deutscher Unternehmen. Hier entstehen Arbeitsplätze, hier entsteht Wohlstand!“

Access-Geschäftsführer Dr.-Ing. André Schievenbusch beleuchtete zunächst die Vorteile, die aus der „unwahrscheinlichen Nähe“ der Forschungseinrichtungen und -vereinigungen zur Wirtschaft erwachsen: „Aufgrund dieser Praxisnähe gelingt es seit Jahrzehnten in den vielfach bedarfsorientierten Forschungsprojekten erfolgreich, aus Ergebnissen wissenschaftlicher Forschung weltmarktfähige Produkte, Dienstleistungen und Lösungen entstehen zu lassen. Diese gegenseitige Befruchtung ist eine besondere Grundlage für erfolgreichen Transfer.“ Schievenbusch betonte, es gelte, den Transfer zu stabilisieren und auszubauen: „Tatsächlich behindert uns die extrem strikte Auslegung des Besserstellungsverbots, die besten Köpfe an die Institute zu holen. Selbst die Einstellung von Technikern ist inzwischen schwierig.“ Auch forderte er mehr Konstanz und Berechenbarkeit in der Förderung der Forschung und verwies dazu auf die unvermittelte Abschaffung des Technologietransferprogramms Leichtbau mitten in der aktuellen Legislaturperiode.

Ende der Industrieforschung wird zu Verlust an Wohlstand und Innovationskompetenz führen

Dr.-Ing. Natalie Palm, kaufmännische Leiterin des FiW, ergänzte: „Selbst an den guten Themen schaffen wir es nicht mehr, weiterzuarbeiten.“ Sie begründete dies unter anderem mit einem inzwischen unerträglich hohen Zeit- und Personalaufwand für die bürokratischen Anforderungen. Und OWI-Geschäftsführer Dr. Wilfried Plum berichtete: „Bei allen Projektträgern, egal ob auf nationaler oder europäischer Ebenen, kommt es zu erheblichen Verzögerungen der Mittelzuteilung. Dies führt zu einem enormen Bedarf an Vorfinanzierung durch die Forschungseinrichtungen.“ Er forderte: „Hier muss die Möglichkeit von kostengünstigen Zwischenfinanzierungen geschaffen werden.“

Abschließend wagte Lemm einen übergreifenden Ausblick: Gelinge es nicht, bestehende Hemmnisse sehr zeitnah und wirksam abzubauen, drohten eine Beschleunigung der Deindustrialisierung Deutschlands, ein erhebliches Anwachsen der Arbeitslosigkeit sowie ein signifikanter Verlust an Wohlstand und Innovationskompetenzen. „Das wäre das Ende der transfer- und innovationsorientierten Forschung in Deutschland. Es hätte zudem Sprengkraft in die Gesellschaft hinein“, warnte die Institutsleiterin.


Die Pressemeldung finden Sie hier zum Download bereitgestellt.


Anhang: Leitlinien für eine innovations- und transferorientierte Forschungspolitik


vorgelegt von der Deutschen Industrieforschungsgemeinschaft Konrad Zuse e.V. (www.zuse-gemeinschaft.de), der Johannes-Rau-Forschungsgemeinschaft e.V. (www.jrf.nrw), der Innovationsallianz Baden-Württemberg e.V. (www.innbw.de), der Sächsischen Industrieforschungsgemeinschaft e.V. (www.sig-forschung.de) und dem Forschungs- und Technologieverbund Thüringen e.V. (www.ftvt.de)

 

(1) Die transferorientierten, gemeinnützigen Forschungsinstitute, überwiegend ohne eigene Grundfinanzierung, sind eine unverzichtbare Säule im deutschen Innovationssystem – neben Universitäten, Hochschulen und den Bund-Länder-geförderten Forschungsorganisationen.

> Politik und Verwaltung erkennen die Bedeutung dieser unabhängigen Forschungsinstitute an und geben ihnen eine Stimme.

 

(2) Der Bedarf an Innovationen wächst stetig und Deutschlands Innovationsfähigkeit – gerade im Mittelstand – sinkt. Trotzdem werden die Haushaltsansätze industrienaher Förderprogramme gekürzt oder die Programme eingestellt.

> Politik und Verwaltung setzen auf die Kooperation von Wirtschaft und Wissenschaft und bauen die transferorientierten Programme (z.B. ZIM, IGF, INNO-KOM, KMU-Innovativ, WIR!, TTP-Leichtbau) aus.

 

(3) Die enge Kooperation zwischen Wirtschaft und Instituten sichert den Transfer in die Praxis. Die Institute bauen ihr Netzwerk in die Wirtschaft kontinuierlich aus, was gegenwärtig durch mehr als 50.000 Industrieaufträge jährlich belegt wird. Nur so wird die öffentliche Förderung zielgerichtet durch Auftragsforschung ergänzt und der Transfer der Forschungsergebnisse gewährleistet.

> Politik und Verwaltung erkennen diese Forschungsinstitute als Transferexperten an. Eine Benachteiligung des Transfers durch geringere Förderquoten (z.B. Gemeinkostenpauschalen), schlechtere Abrechnungsbedingungen und Schlechterstellung in der Entlohnung von Spitzen- und Führungskräften werden korrigiert.

 

(4) Der Mittelstand benötigt Verlässlichkeit und Stabilität, um wieder zu wachsen und seine Zukunft in Deutschland zu sichern. Über die steuerliche Forschungsförderung ist ein Förderinstrument etabliert, das inzwischen überproportional zu Gunsten von großen Unternehmen ausgebaut worden ist.

> Politik und Verwaltung stärken den Mittelstand Deutschlands, indem die Budgets für Industrieforschungsprogramme dynamisch in jedem Jahr angehoben werden – im Sinne eines „Pakts für Transfer“.

 

(5) Bottom-Up generierte Ideen und Forschungsprojekte sichern einen beschleunigten Transfer in die Praxis. Entscheidende Erfolgsfaktoren sind dabei die Schaffung von technologischem Vorsprung, Innovationen und wirtschaftlichem Mehrwert in der Industrie.

> Politik und Verwaltung stehen für Themen- und Technologieoffenheit und -vielfalt in der Forschung, um die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands dauerhaft international zu erhalten und definieren die dafür notwendigen Leitplanken.

 

(6) Wirtschaft und Wissenschaft sind mehr und mehr durch Bürokratie gefesselt.

> Politik und Verwaltung setzen sich für mehr digitale, schlanke Verwaltung, mehr Vertrauen statt Kontrolle und Nachweispflichten, mehr Ergebnisorientierung, erleichterte Einstellung von qualifizierten Nicht-EU-Arbeitskräften ein, um Innovationsfähigkeit und Transfer in Deutschland zu stärken.

 

Den Anhang zur Pressemeldung finden Sie hier zum Download bereitgestellt.