Schlüsseltechnologien müssen künftig von vornherein auf Energie- und Ressourceneinsparungen hin optimiert werden. Das betont Abteilungsleiterin Prof. Ina Schieferdecker vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) im Interview mit den ZUSE TRANSFERNEWS. Das BMBF hat kürzlich elf Technologiebereiche identifiziert, in denen Deutschland technologische Souveränität erreichen bzw. wahren soll. Bei der Unterstützung von Innovationen im Mittelstand sieht sie ein starkes Engagement des BMBF, so bei technologiespezifischer, aber auch bei technologieoffener und regional fokussierter Förderung.
Frau Prof. Schieferdecker, Sie sind seit knapp zwei Jahren Abteilungsleiterin im BMBF. Welche Bilanz lässt sich da ziehen auf Erreichtes?
Schieferdecker: Ich bin mit einem klaren Gestaltungsanspruch in das Bundesministerium gekommen. Dazu gehört, Digitalisierungs- und Nachhaltigkeitsthemen voranzubringen, für die ich nicht nur als mathematische Informatikerin eine natürliche Affinität habe. Die von mir geleitete Abteilung umfasst aber ein breiteres Portfolio an Forschungsthemen, von der Grundlagen- bis hin zur anwendungsorientierten Forschung in vielfältigen Schlüsseltechnologien und des Transfers der Forschungsergebnisse in verschiedene Anwendungsbereiche. Zu nennen sind hier u.a. die Entwicklung von Quantencomputern ebenso wie die Mikroelektronik oder auch die Materialforschung. Diese Themen überlappen mit den Digitalisierungsthemen.
Bei der Umsetzung der neuen Schwerpunkte haben wir schon einiges erreicht. So haben wir u.a. den Aktionsplan „Natürlich.Digital.Nachhaltig“ vorgelegt und das Rahmenprogramm „Zukunft der Wertschöpfung“, das Forschungsrahmenprogramm der Bundesregierung zur IT-Sicherheit „Digital. Sicher. Souverän.“ sowie das Rahmenprogramm „Quantentechnologien – von den Grundlagen zum Markt“ auf den Weg gebracht. Wir haben dafür gesorgt, dass diese Programme bereits mit Bekanntmachungen zu konkreten Förderrichtlinien gut gestartet sind. Für Kommunikationstechnologien wie 6G haben wir ebenso ein Forschungsprogramm erarbeitet und eine erste Förderrichtlinie veröffentlicht.
Schon vor der Corona-Krise hatten wir im Übrigen eine Diskussion darüber, wie wir hier eine noch stärkere Ausrichtung auf Schlüsseltechnologien gestalten. Dies haben wir nun konkretisiert.
Es gibt nicht nur neue Querschnittsreferate, auch ist Ihre Abteilung kürzlich umbenannt worden in „Forschung für technologische Souveränität und Innovationen“. Wie definieren Sie technologische Souveränität, in welchen Bereichen brauchen wir sie?
Schieferdecker: Technologische Souveränität ist einer der wichtigen Leitgedanken für unsere Forschungsförderung. Schon vor der Corona-Krise, die dem Thema auch in der Öffentlichkeit breite Aufmerksamkeit verschaffte - Stichwort Impfstoffe oder Vliesstoffproduktion für Masken - hat das BMBF seit 2019 ein Augenmerk auf das Thema gelegt. Im Herbst dieses Jahres kam ich ins Haus. Vor kurzem haben wir das Impulspapier „Technologisch souverän die Zukunft gestalten“ mit ausgewählten Expertinnen und Experten entwickelt und veröffentlicht. Darin beschreiben wir die Programmatik ebenso wie erste Leitinitiativen.
Unter technologischer Souveränität verstehen wir den Anspruch und die Fähigkeit zur kooperativen Gestaltung von Schlüsseltechnologien und Technologie-Innovationen im Hinblick auf unser Wertesystem. Dazu gehören die Fähigkeiten und Kompetenzen, entsprechende Technologien, Produkte und Dienstleistungen zu konzipieren, herzustellen, weiter zu entwickeln und in die Anwendung zu bringen. Auch der Aufbau eigener Kapazitäten kann dazu zählen.
"Wir haben elf Technologiebereiche identifiziert, in denen wir technologische Souveränität erreichen bzw. wahren wollen"
Entsprechend haben wir elf Technologiebereiche identifiziert, in denen wir technologische Souveränität erreichen bzw. wahren wollen, von Elektronik der nächsten Generation über Software und Künstliche Intelligenz bis zum Quantencomputer „Made in Germany“ bzw. „Made in Europe“. Wir denken bei der technologischen Souveränität im europäischen und ggf. internationalen Verbund. Aber auch Materialinnovationen und Kreislaufwirtschaft für mehr Ressourceneffizienz gehören für uns zur technologischen Souveränität. Die Programmatik zur Technologischen Souveränität ist bereits mit konkreten Programmen unterfüttert, zum Beispiel mit dem neuen BMBF-Programm für Mikroelektronik, das auf den zwei Säulen für Vertrauenswürdigkeit und Nachhaltigkeit steht.
Viel ist von Sprunginnovationen die Rede. Doch die gibt es nicht auf Bestellung, oder doch?
Schieferdecker: Bestellen kann ich sie jederzeit, doch bekomme ich sie auch (schmunzelt)? Ich bin da optimistisch. Vergessen Sie nicht, dass die Agentur für Sprunginnovationen (SPRIND), auf die Sie anspielen, erst Ende 2019 gegründet wurde. Vergessen wir auch nicht, dass ihre Schaffung vor dem Hintergrund der Überlegungen zu sehen ist, eine durch die US-Agentur DARPA inspirierte Organisation zu schaffen – unter den besonderen deutschen Gegebenheiten. Dazu gehört die organisatorische Trennung ziviler und militärischer Forschung. Das ist nur ein Aspekt unseres gegenüber den USA in der Forschungsförderung eben etwas anderen Systems. Dazu zählen zudem das Verständnis und folglich die Vorgaben zum Umgang mit öffentlichen Fördergeldern. Wir werden auch weiterhin daran arbeiten, die bereits guten Rahmenbedingungen für SPRIND weiter zu verbessern, so beispielsweise mit Blick auf Ausnahmen beim Besserstellungsverbot. Gleichzeitig gilt es festzuhalten, dass SPRIND in vielen Bereichen sehr frei agieren kann, um ihren Auftrag zu erfüllen.
"Ich bin selbst Gründerin gewesen und weiß, dass Unternehmen mit ihren Innovationen
Umsatz machen müssen. Das ist ja auch das Ziel vieler unserer Programme, wenn auch
häufig erst in der längerfristigen Perspektive."
Inhaltlich geht es bei SPRIND ja letztendlich darum, gerade solche Innovationen aufzuspüren, die sich mithilfe unserer bisherigen Förderungen oder aber mit Investoren, die den absehbaren Markterfolg vor Augen haben, eher nicht ergeben. Vollkommen überraschend, bislang unvorstellbar, aber messbar: So lässt sich das Profil der erhofften Sprunginnovationen umschreiben. SPRIND füllt mit ihrer Arbeit deshalb eine Lücke. Ihre Aufgabe ist es auch, in die Tiefe zu gehen und für eine verbesserte Verbindung zu Wissenschaft und Forschung zu sorgen. Zum anderen soll die Agentur zu den neuen Ideen die passenden Leute finden, damit der Sprung in die Praxis gelingt. Die Herausforderungen, vor denen SPRIND Geschäftsführer Rafael Laguna de la Vera steht, kann ich gut nachvollziehen. Auch ich bin ja quasi ein „Go Between“, der aus der angewandten Forschung mit der Wirtschaft kommt und Innovationen schnell aufs Gleis setzen will. Das will ich auch als BMBF-Abteilungsleiterin.
Nicht nur bei Sprunginnovationen, auch beim klassischen Forschungstransfer wird Deutschland ein Manko attestiert, zumal die Innovatorenquote im Mittelstand stetig gefallen ist. Welche Möglichkeiten sehen Sie mit Blick auf Ihren Zuständigkeitsbereich, Forschungsaktivität im KMU-Sektor zu beleben?
Schieferdecker: Das Bundesforschungsministerium hat sich in den vergangenen Jahren kontinuierlich für mehr Innovationen im Mittelstand und mehr technologieorientierte Gründungen engagiert. Schon 2017 wurden die „Fünf Punkte für eine neue Gründerzeit“ aufgelegt, um mehr Menschen zu Start Up-Gründungen zu ermutigen. Start-Ups sind die Disruptoren der Wirtschaft, die uns auch bei Sprunginnovationen helfen. Ich bin selbst Gründerin gewesen und weiß, dass Unternehmen mit ihren Innovationen Umsatz machen müssen. Das ist ja auch das Ziel vieler unserer Programme, wenn auch häufig erst in der längerfristigen Perspektive. Im BMBF haben wir starke Mittelstandsprogramme, so KMU Innovativ mit seinen technologiespezifischen Ansätzen u.a. in den Bereichen Mikroelektronik, Photonik und IT-Sicherheit. Wir setzen aber auch auf technologieoffene Programme wie die regionale Innovationsförderung, die Wissenschaftlichen Vorprojekte oder die Clusterförderung. Beides, technologiespezifische wie auch branchenoffene Programme, sind auch für Institute der Zuse-Gemeinschaft interessant und relevant.
Sie haben in der Vergangenheit immer wieder eine Verbindung hergestellt zwischen Digitalisierung und Klimaschutz und auf den CO2-Ausstoß durch Globalisierung und Digitalisierung hingewiesen. Die Strom- und Energieverbräuche sollen laut Prognosen aber weiter steigen. Wie können Sie da Einfluss nehmen seitens des BMBF?
Schieferdecker: Das künftig notwendige Junktim zwischen Klimaschutz und Digitalisierung reizen wir durch Forschungsförderung ganz gezielt an, so durch den Innovationswettbewerb „Elektronik für energiesparsame Informations- und Kommunikationstechnik“. Da gibt es in zehn um energieeffiziente Konzepte konkurrierenden Wettbewerbsprojekten bereits hoffnungsvolle Entwicklungen. Ich denke da nicht zuletzt an das Projekt Dakore der TU Dresden, mit dem Stromeinsparungen von rund 30 Prozent für den Energiebedarf der Leistungsverstärker in 5G-Basisstationen in Deutschland realisiert werden sollen.
Hochgerechnet auf den künftigen Bedarf der 5G Infrastruktur entspräche dies CO2-Einsparungen von rund 5 Millionen Tonnen pro Jahr, was über 10 Prozent des Gesamtenergieverbrauchs des Mobilfunks beträgt. Schlüsseltechnologien müssen künftig von vornherein auf Energie- und Ressourceneinsparungen hin optimiert werden. Anders geht’s nicht. Noch schwieriger als beim Energieverbrauch wird’s beim Materialverbrauch. Diesen zu mindern sowie maßgeschneiderte, leistungsfähige und gleichzeitig nachhaltige Alternativen zu finden, gerade für Schlüsseltechnologien, wird künftig ein wichtiger Forschungsaspekt in Deutschland, eben auch um technologische Souveränität zu wahren oder wieder zu erlangen. Nicht umsonst engagieren wir uns daher verstärkt in der Materialforschung.
Dieser Text erschien in den ZUSE TRANSFERNEWS 04/2021.
Das Interview führte Alexander Knebel, Pressesprecher der Zuse-Gemeinschaft