Alois Gerig: "Aus der Corona-Krise können wir lernen, dass die Natur für uns Menschen nicht vollends beherrschbar ist." Bildquelle: Deutscher Bundestag / von Saldern

Für den gemeinsamen Erfolg von Bioökonomie und Landwirtschaft ist es wichtig, dass Zielkonflikte gelöst, Nachhaltigkeitskriterien umgesetzt und Belastungsgrenzen unserer Ökosysteme respektiert werden. Das betont Alois Gerig, CDU-Abgeordneter und Vorsitzender des Agrarausschusses im Bundestag. "Wenn das gelingt, bietet die Bioökonomie großartige Chancen, die wir unbedingt nutzen sollten. So kann Bioökonomie helfen, neue Geschäftsfelder für die Land- und Forstwirtschaft zu erschließen, ressourcenschonende Stoffkreisläufe auszubauen, fossile Rohstoffe zu ersetzen und das Klima besser zu schützen", sagt Gerig.

Herr Gerig, als Ausschussvorsitzender haben Sie für die Abläufe im Bundestag besondere Verantwortung. Wie ist es in der beispiellosen Corona-Krisensituation um die Rolle des Parlaments als Souverän bestellt? Können Sie nur noch durchwinken oder auch gestalten?

Gerig: Der Arbeitsalltag der Abgeordneten ist durch Corona deutlich anders als sonst, was nicht nur durch größere Abstände zu den Kolleginnen und Kollegen im Plenarsaal zum Ausdruck kommt. Statt Sitzungen in Berlin und Vor-Ort-Terminen im Wahlkreis füllen Telefon- und Videokonferenzen am eigenen Schreibtisch den Kalender. Der Bundestag muss mit geänderten Abläufen seinen Beitrag zur Eindämmung der Pandemie leisten und gleichzeitig als Volksvertretung handlungsfähig bleiben. Auch während der Pandemie tagen Plenum und Ausschüsse – es werden Kontroversen ausgetragen, Alternativen geprüft und Entscheidungen gefällt. Um die gravierenden Folgen der Pandemie abzumildern, wurde das Gesundheitswesen gestärkt sowie Soforthilfen für Unternehmen, Rettungsschirme für Arbeitnehmer und Mieter sowie Hilfen für Familien beschlossen. Zudem bringt die Koalition die Entwicklung eines Impfstoffes voran, indem 750 Mio. Euro für Forschung und Produktion bereitgestellt werden. Denn ein Impfstoff ist der beste Weg zu dem Leben zurückzukehren, wie wir es vor der Pandemie kannten.

Die Pandemie weist uns in vielerlei Weise in die Schranken. Wird unsere Erfahrung mit dem Corona-Virus langfristig Einfluss auf unsere Haltung gegenüber unserem Umgang mit der Natur haben?

Gerig: Aus der Corona-Krise können wir lernen, dass die Natur für uns Menschen nicht vollends beherrschbar ist. Die zunehmende Verbreitung kruder Verschwörungstheorien zeigt leider, dass viele nicht lernen wollen und sich lieber auf die Suche nach vermeintlichen Sündenböcken begeben – ein Irrweg! Das sollte Politik und Wissenschaft motivieren, noch überzeugender Aufklärungsarbeit leisten. Ich will die Hoffnung nicht aufgeben, dass die Pandemie uns veranlasst, wieder mehr Wertschätzung zu empfinden – für unser leistungsfähiges Gesundheitssystem, für die sichere Versorgung mit Lebensmitteln oder für unsere Freiheit zu reisen und Freunde zu treffen. Die Krise bietet die Chance, dass unser Denken und Handeln in Zukunft rücksichtsvoller, nachhaltiger und dankbarer wird – nutzen wir sie!

Als ausgebildeter Landwirt wissen Sie, was es heißt, Jahr für Jahr gesunde und sichere Lebensmittel zu produzieren. Zugleich ist die Agrar- und Ernährungswirtschaft Basis einer Bioökonomie, die weit mehr Bereiche umfasst als „nur“ gesunde Lebensmittel. Wird der Landwirtschaft mit den Ansprüchen der Bioökonomie zu viel abverlangt?

Gerig: Die Landwirtschaft sieht sich generell mit steigenden Ansprüchen konfrontiert: Möglichst günstige Lebensmittel sollen zu immer höheren Tierwohl- und Umweltstandards produziert werden. Leider sind die Verbraucherinnen und Verbraucher selten bereit, die mit höheren Standards verbundenen Kosten an der Ladentheke zu vergüten. Durch Bioökonomie könnten sich die Konflikte um die Landwirtschaft verschärfen, wenn zum Beispiel die Produktion nachwachsender Rohstoffe die Versorgung mit Lebensmitteln gefährden würde. Deshalb ist für den gemeinsamen Erfolg von Bioökonomie und Landwirtschaft wichtig, dass Zielkonflikte gelöst, Nachhaltigkeitskriterien umgesetzt und Belastungsgrenzen unserer Ökosysteme respektiert werden. Wenn das gelingt, bietet die Bioökonomie großartige Chancen, die wir unbedingt nutzen sollten. So kann Bioökonomie helfen, neue Geschäftsfelder für die Land- und Forstwirtschaft zu erschließen, ressourcenschonende Stoffkreisläufe auszubauen, fossile Rohstoffe zu ersetzen und das Klima besser zu schützen. Mit Innovationen in der Bioökonomie können wir Zukunftsmärkte erschließen, die Wohlstand und Arbeitsplätzen von morgen sichern.

Hohenstein Bioökonomie Mai20 BeitragBioökonomie-Forschung aus der Zuse-Gemeinschaft kommt an: Zum Beispiel nutzen Forschende bei Hohenstein molekularbiologische Methoden zum spezifischen DNA-Nachweis. Bildquelle: HohensteinAls Mitglied des fachlichen Beirats in der Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe (FNR) haben Sie Einblick in die Forschungsförderung für die Bioökonomie. Wo sehen Sie die wichtigsten Erfolge? 

Gerig: Damit Bioökonomie die Transformation zu einem nachhaltigeren Wirtschaftssystem voranbringt, ist es wichtig, dass Innovationen schnell in der Praxis ankommen und Marktreife erlangen. Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft unterstützt entsprechende Projekte – so werden im Haushaltsjahr 2020 für Projektförderung 197,5 Mio. Euro bereitgestellt. Besonders umfangreich und vielseitig ist das Förderprogramm „Nachwachsende Rohstoffe“ (FPNR). Hier stehen aktuell 84,8 Mio. Euro für eine Vielzahl von Forschungsprojekten zur industriellen Nutzung biogener Roh- und Reststoffe zur Verfügung. Das FPNR wird durch die FNR als Projektträger betreut. Ein bemerkenswerter Aspekt des FPNR ist, dass neben der Projektförderung im Rahmen von Förderschwerpunkten und Förderaufrufen auch die Möglichkeit besteht, bei der FNR jederzeit ohne Frist- oder Themenvorgabe initiativ Projektvorschläge einzureichen. Dafür hat sich der fachliche Beirat besonders eingesetzt. Die Förderung im FPNR erfolgt bereits seit 1993 kontinuierlich und erfolgreich – damals war von Bioökonomie als Begriff noch keine Rede. Die FNR hat somit viel Erfahrung, was der Bioökonomie in Deutschland sehr zugute kommt.

Und was könnte noch besser laufen?

Gerig: Auf den Erfolgen dürfen wir uns keinesfalls ausruhen. Die Nationale Bioökonomiestrategie, die die Bundesregierung im Januar dieses Jahres vorgelegt hat, setzt die richtigen Schwerpunkte. Neben der ausreichenden Förderung konkreter Anwendungen bedarf es auch der Grundlagenforschung, um die Leistungsfähigkeit ökologischer Systeme und Prozesse besser zu verstehen und Nachhaltigkeitskriterien zu entwickeln. Darüber hinaus sieht die Strategie richtigerweise vor, einen intensiven Dialog in der Gesellschaft zu führen. Wir müssen uns über Chancen, Grenzen und die Lösung von Zielkonflikten verständigen, um die Akzeptanz der Bioökonomie zu sichern.

Dieses Interview erschien in den ZUSE TRANSFERNEWS vom 19. Mai 2020.