Zwischen den klassischen Medien-Ressorts Wirtschaft und Wissenschaft gehen zu viele Innovationsthemen verloren, erklärt der Wissenschaftsjournalist Manfred Ronzheimer. Es komme darauf an, die wissenschaftlich-technologischen Aspekte mit den volkswirtschaftlichen Perspektiven zu kombinieren. "Das ist nicht ganz einfach, weil es einen Journalismus 'über den Tellerrand' erfordert", erläutert der renommierte Journalist in der Juli-Ausgabe der ZUSE TRANSFERNEWS.
Mit der Corona-Krise ist die Berichterstattung über Wissenschaft in den öffentlichen Fokus gerückt. Hat sich an der Wahrnehmung des Wissenschaftsjournalismus Ihrer Meinung nach dadurch etwas geändert?
Eindeutig. In der ersten Phase der Corona-Krise war der Wissenschaftsjournalismus gefragt wie nie, weil er die Hintergründe um Virus und Pandemie anschaulich erklären konnte. Keine TV-Gesprächsrunde zum Thema kam ohne Wissenschaftsjournalisten aus. Der führende Virologe Christian Drosten von der Charité attestierte unserer Sparte gesellschaftliche „Systemrelevanz“. Die Schattenseite: Der Hype erstreckte sich nur auf die naturwissenschaftlich-medizinische Berichterstattung. Autoren mit anderen Schwerpunkten segelten in die Flaute. Unser Berufsverband, die Wissenschaftspressekonferenz (WPK), half mit einem Recherchefonds aus Stiftungsgeldern über die Runden.
Sie beklagen, dass in den deutschen Medien zu wenig Berichterstattung über Innovationen stattfinde. Woran machen Sie diese Kritik fest und wo sehen Sie die Gründe für ihren Befund?
Das Defizit ist ein doppeltes. Zwischen den klassischen Medien-Ressorts Wirtschaft und Wissenschaft gehen zu viele Innovationsthemen verloren, weil sie nicht passförmig sind. Wenn ein Wissenschaftler aus einem Forschungsprojekt eine Produktinnovation entwickelt und eine Firma gründet, dann winkt die Wissenschaftsredaktion bei dem Thema zumeist ab, weil es zu wirtschaftslastig ist, und die Kollegen vom Wirtschaftsressort vice versa. Zum zweiten wird zu wenig über Innovationspolitik generell berichtet, über die Rahmenbedingungen zur Förderung von Innovationen. Das konnte man gut beim Konjunkturpaket der Bundesregierung beobachten, wo über kurzfristige Maßnahmen gegen die Wirtschaftskrise viel, über die innovationsorientierten Projekte des Zukunftspakets wenig berichtet wurde. Etwa über die Entwicklung der Wasserstofftechnologie oder beim Quantencomputing. Hier kommt es darauf an, die wissenschaftlich-technologischen Aspekte mit den volkswirtschaftlichen Perspektiven zu kombinieren. Das ist nicht ganz einfach, weil es einen Journalismus „über den Tellerrand“ erfordert.
Wie ließe sich das Interesse an Innovationen in Medien und Gesellschaft nach Ihrer Auffassung beleben?
Es braucht mehr Einsatz für das Thema in den Medienhäusern und bei den Journalisten. Innovationen, richtig vermittelt, haben ja an sich einen Sex-Appeal. Das Neue interessiert uns Medienleute wie auch die Leser mehr als das Altbekannte. Das ist der handwerkliche Ansatz in der Medienpraxis. Hier geht es neue Impulse in der Aus- und Fortbildung. Da wären auch Committments von Wissenschafts- und Wirtschaftsverbänden vorstellbar. Ergänzt werden müssten diese Softskills meines Erachtens durch neue technische Infrastrukturen zur Verbreitung von Inhalten. So könnten über eine Internet-Plattform journalistische Artikel zu Innvationsthemen auch an solche Nutzer gebracht werden, die das Zeitungslesen schon verlernt haben. Das wäre dann selbst sogar eine eigene Innovation im Mediensystem, wovon es viel zu wenig gibt.
Dieses Interview erschien in den ZUSE TRANSFERNEWS 05/2020, dem Newsletter der Zuse-Gemeinschaft.