Fahrradfahren gehört zu den Hobbies von Petra Sitte. Bildquelle: Büro Petra Sitte

Nach Einschätzung von Petra Sitte, im Bundestag Stv. Fraktionsvorsitzende von Die Linke, hat die Corona-Pandemie und deren Bekämpfung bewirkt, dass mehr über die Rahmenbedingungen verlässlicher Forschung gesprochen wird und darüber, wie wissenschaftliche Erkenntnisse in die Öffentlichkeit vermittelt werden können. Kritisch setzt sie sich im Interview mit den ZUSE TRANSFERNEWS mit der forschungspolitischen Bilanz der Bundesregierung auseinander. "Programme wie das Zentrale Innovationsprogramm Mittelstand haben sich gerade für KMU bewährt und drohen, zugunsten der steuerlichen Forschungszulage an Bedeutung und Mitteln einzubüßen", warnt Sitte. Künftig müsse es stärker darum gehen, wie technische und klimatische Veränderungen gesellschaftlich handhabbar und neue soziale Perspektiven entwickelt werden können.

Frau Sitte, was verbinden und verbindet Sie mit der Zuse-Gemeinschaft?

Die Zuse-Gemeinschaft ist für mich eine zukunftsstarke Plattform, den forschenden Mittelstand zu unterstützen. Das Besondere: es ist keine „Kopfgeburt“, sondern eine „Eigenentwicklung“. Sie ist notwendig quasi als fünfte Forschungsorganisation neben Helmholtz, Max Planck, Leibniz und Fraunhofer. Keine der großen Wissenschaftsorganisationen vermag den Bedürfnissen der Institute der Zuse-Gemeinschaft wirklich zu entsprechen, weil diese mit ihren Ressourcen unter deren Radar fliegen. Die Zuse-Gemeinschaft kennt das Alltagsgeschäft ihrer Mitglieder, ist näher dran und kann flexibler reagieren.

Daher ist es notwendig, die Zuse-Gemeinschaft beharrlich im politischen Raum zu bewerben, um ihr über eine Grundfinanzierung die Entwicklung verlässlicher Rahmenbedingungen zu ermöglichen und sie fest zu etablieren.

Wissenschaft und Forschung standen in ihrem Stellenwert für politische Entscheidungen 2020 mit der Pandemie so sehr im Fokus wie selten zuvor. Hat sich das Verhältnis von Wissenschaft und Politik im Zuge der Pandemie gewandelt?

Die Corona-Krise und ihre Bekämpfung haben den seriösen Parteien und Politikerinnen und Politikern – übrigens weltweit – den Wert faktenbasierter Wissenschaft mit neuer Dringlichkeit ins Bewusstsein gebracht. Es wird mehr über die Rahmenbedingungen verlässlicher Forschung gesprochen und darüber, wie wissenschaftliche Erkenntnisse in die Öffentlichkeit vermittelt werden können. Es wird deutlicher wahrgenommen, welche schlimmen Auswirkungen es haben kann, wenn der Wissenschaft kein Glauben geschenkt wird und sich Fake News und „alternative Fakten“ ausbreiten. Ich hoffe, dass dieser Sinneswandel nachhaltig ist und auch im Hinblick auf die Klimapolitik und den notwendigen gesellschaftlichen Wandel zum Tragen kommt.

Auf der Habenseite ihrer forschungspolitischen Bilanz verbucht die Bundesregierung in der ablaufenden Wahlperiode die steuerliche Forschungszulage. Sie kritisieren diese Forschungszulage schon seit längerem. Warum?

Programme wie das Zentrale Innovationsprogramm Mittelstand (ZIM) haben sich gerade für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) bewährt und drohen, zugunsten der steuerlichen Forschungszulage an Bedeutung und Mitteln einzubüßen. Die Steuerzulage ist bürokratisch kompliziert und kann von den forschenden Unternehmen erst im Nachhinein geltend gemacht werden. Kleinere Unternehmen können diese Mittel aber oft nicht vorstrecken. So droht die Steuerzulage, einseitig großen Unternehmen zugute zu kommen, die ohnehin mehr forschen und Förderung meist weniger nötig haben. Unter Umständen bringt die Forschungszulage den kleineren Unternehmen ohnehin weniger Förderung als das ZIM oder andere Programmlinien bieten. Nach früheren Erfahrungen mit einem vergleichbaren Instrument werden sich wohl auch hier Mitnahmeeffekte entwickeln.

Die Befürchtung, die Projektförderung könnte leiden, hat sich aber bisher nicht PetraSitte MdB Zusatzbild BeitragDie Linken-Politikerin in der Schweiz zu Gast am CERN mit dem Forschungsausschuss des Bundestags. Bildquelle: ABFT Bundestagbewahrheitet... 

Das ist ein Glück, aber die Steuerzulage ist auch erst 2019 in Kraft getreten. Wahrscheinlich werden wir aber sehen, dass 2020 aufgrund des Corona-bedingten Konjunkturabschwungs die Umsätze und Steuerzahlungen zurückgegangen sind. Damit entfällt auch ein Teil der Möglichkeiten, Forschungsausgaben aus der Steuerzulage erstattet zu bekommen. Sinnvoller wäre es weiterhin, öffentliche Mittel für Forschungsförderung direkt als Zuschüsse zu gewähren und so den Forschungsbetrieb und die Konjunktur unmittelbar anzukurbeln.

In ihrem Grundsatzprogramm spricht Die Linke sich für die Förderung von Zukunftsbranchen aus, definiert diese aber nicht näher. Welche Kriterien gelten denn dafür, ob eine Branche zukunftsfähig ist?

Es muss in Zukunft viel stärker darum gehen, wie technische und klimatische Veränderungen gesellschaftlich handhabbar gemacht und neue soziale Perspektiven entwickelt werden können. Viele Forschungsinhalte ergeben sich aus dem schon beobachtbaren Klimawandel: steigende Temperaturen, extreme Wetterlagen und Wasserknappheit stellen existenzielle Herausforderungen dar, unter anderem für die Land- und Nahrungsmittelwirtschaft, aber auch unseren Umgang mit Gewässern und Wäldern. Gleichzeitig müssen wir an wirtschaftlichen Konditionen und gesellschaftlichen Abläufen, demokratische Einflussmöglichkeiten eingeschlossen, forschen. Letztlich müssen wir Ressourcen sparen, Emissionen reduzieren und dabei allen Menschen gesellschaftliche Teilhabe ermöglichen: Mobilität und Stadtplanung, Energieeinsparung und nachhaltige Produktion. Wir sollten dabei weniger in Branchen denken, als das Zusammenspiel von Gesellschaft und Natur, Menschen und Maschinen in den Blick nehmen. Deshalb müssen Social Entrepreneurs und die Sozialwissenschaften viel stärker in die Zukunftsforschung einbezogen werden.

Dieses Interview erschien zuerst in den ZUSE TRANSFERNEWS 01/2021, dem kostenlosen Newsletter der Zuse-Gemeinschaft.