Durchströmung eines dendritisch erstarrenden Werkstoffs mit Schmelze. Die Durchlässigkeit für die Schmelzeströmung ist nicht nur für den Gießprozess eine wichtige Kenngröße. Bildquellle: Access

Das Verbinden von Metallen zu wertvollen Materialien – die Erzeugung von Legierungen – gehört zu den ältesten Fertigkeiten der Menschheit. Was in der Bronzezeit begann, als die Verbindung von Kupfer und Zinn zur Produktion von Waffen und Schmuck einer ganzen Epoche den Namen gab, ist im Zeitalter der Digitalisierung eine Schlüsseltechnologie für Hightech-Branchen mit neuen Elementen und Ansprüchen geworden - so bei Stählen, Verbindungen von Eisen und Kohlenstoff und vielen weiteren chemischen Elementen, von denen jedes einzelne in genauer Dosierung bestimmte Eigenschaften hervorruft.

Mit der Vielzahl der Verbindungen sind die Ansprüche an Planung, Produktion und Qualität der Legierungen gewachsen. Hierbei spielt nicht nur die Zusammensetzung der Legierung, sondern auch die Herstellungsgeschichte für die Werkstoffeigenschaften eine wesentliche Rolle.

Darauf hat sich das Aachener Forschungsinstitut Access mit seiner Simulationssoftware Micress® erfolgreich eingestellt. Micress® macht sichtbar, was in der Schmiede und im Hochofen unsichtbar bleibt: Wie sich aus der flüssigen Schmelze der Elemente neue, faszinierende Strukturen bilden, sobald die Legierung sich abkühlt und an Festigkeit gewinnt.  „Wir können simulieren wie Schneeflocken wachsen. Ähnliche Strukturen entstehen auch bei der Erstarrung metallischer Legierungen“, erläutert Georg J. Schmitz von Access das Grundprinzip der Software, die Wissenschaftler und Unternehmen schon in mehr als 15 Ländern nutzen.

Metalle und ihre Mischungen analysieren
Den inneren Aufbau der Stoffe – ihr Gerüst – bezeichnet die Werkstoffbranche als Gefüge. Die Stärke von Micress liegt darin, dass sie die Entstehung des Gefüges und seine weitere Entwicklung während der Herstellung und der Anwendung simuliert. Welche Metalle in welcher Mischung zum neuen Produkt verschmolzen werden, fließt ebenso in die Berechnungen ein wie Prozessbedingungen rund um Temperatur, Haltezeiten und  Abkühlungsgeschwindigkeiten. Heraus kommen nicht nur Momentaufnahmen der chemischen Abläufe, sondern simulierte Videosequenzen ansonsten nicht sichtbarer Vorgänge.

Vom Hochofen zur Additiven Fertigung
Das ist für die Micress-Nutzer so wertvoll, weil es mitunter von minimalen Veränderungen in der Mixtur abhängt, ob eine Legierung sich bewährt oder überhaupt technisch herstellbar ist. Die sich im Verlauf der Produktion herausbildenden Gefügestrukturen aber sind es, welche die Eigenschaften des Werkstoffes prägen und neue Qualitäten hervorbringen können. Gleichzeitig können durch die Empfindlichkeit der Prozesse aber schon kleine Veränderungen zu großen Problemen führen.

Hier hilft Micress mit Visualisierungen der chemischen Reaktionen. Die Simulationen von Micress erfassen nicht nur die klassischen Produkte aus dem Stahlwerk, sondern auch moderne Methoden der  additiven Fertigung. „Micress ist auf alle metallischen Legierungssysteme und für die meisten Prozesse anwendbar“, erläutert Physiker Schmitz. Er war schon Mitte der neunziger Jahre beim Start von Micress dabei.

Während die Bronzezeit mit ihrem hohen Bedarf an Metallen dazu führte, dass neue Handelswege zur Versorgung mit Rohstoffen entstanden, sind die Aachner Legierungsexperten von Micress auf anderem Wege auf den Weltmärkten aktiv: Vor rund 15 Jahren fiel die Entscheidung, Micress zu einem kommerziellen Produkt weiter zu entwickeln. Heute reicht das Vertriebsnetzwerk von Deutschland über Australien und die USA bis nach Japan, Korea, Indien, China und Brasilien. „Micress verzeichnet aktuell Wachstumsraten zwischen 10 und 15 Prozent pro Jahr“, erläutert Schmitz. Knapp die Hälfte der weltweit mehr als 100 Installationen entfällt auf Industriekunden.

Prognosen im Fokus
Die zukünftigen Entwicklungen von Micress zielen insbesondere auf die nahtlose Einbindung in komplexe Simulationsketten mit anderen akademischen und kommerziellen Softwareprodukten und die Vorhersage von Werkstoffeigenschaften. Voraussagen sollen unter anderem zur Lebensdauer technischer Bauteile im Rahmen des „Integrated Computational Materials Engineering (ICME) gemacht werden und erweitern den Anwendungsbereich von Micress.

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