"Wir machen bewusst einen Schnitt", sagen die Architekten zur Abbruchkante, an der eine Konrad Zuse-Silhouette zu sehen sein soll. Bildquelle: studioaw

Die Architekten Lars Wilhelm und Björn Trieschmann vom Büro studioaw retten die baufällige Zuse-Halle in Bad Hersfeld mit einem modernen Haus-im-Haus-Konzept: Ende nächsten Jahres sollen die Kuben für’s Wohnen und Arbeiten unter dem Dach der einstigen Computerfirma fertig sein. Im Interview mit den ZUSE TRANSFERNEWS erklären Sie, was Sie antreibt und wie sie ihr Projekt ZUSEZUSEHEN umsetzen wollen.

 

Herr Wilhelm, Herr Trieschmann, Sie haben die alte Zuse-Produktionshalle in Bad Hersfeld vor dem Abriss bewahrt, in der das Computerunternehmen von Konrad Zuse ab 1957 den Rechner Z22 fertigte. Wie kam es zu der Rettung?

Wilhelm: Dass die Zuse-Halle in Bad Hersfeld vom Abriss bedroht war, haben wir aus der Zeitung erfahren. Das hat uns bewegt, denn Konrad Zuse als Computerpionier ist für uns als Architekten eine wichtige Persönlichkeit der Technik- und Kulturgeschichte. Und wir stammen beide aus Osthessen, der unternehmerischen Heimat von Konrad Zuse. Hier wirkte er im Nachkriegs-Westdeutschland. Wir als studioaw haben in Sachen denkmalgerechtes Bauen viel zu bieten. So wurden wir aktiv – und haben die vom Abriss bedrohte Zuse-Halle, deren Schicksal schon besiegelt schien, im Frühsommer 2021 doch noch kaufen können. Dann ging die Planung recht zügig.

Trieschmann: Mitte November haben wir unser Konzept den Verantwortlichen der Stadt Bad Hersfeld, dem Bürgermeister und dem Rat und dem Amt für Denkmalpflege, vorgestellt – mit positiver Resonanz! Das Landesamt für Denkmalpflege in Marburg wird noch gehört. Dann wollen wir den Bauantrag einreichen, mit dem Bauen beginnen und in rund einem Jahr fertig sein.

Was haben Sie mit dem Gebäude vor? 

Wilhelm: Wir lassen die komplette Hülle, also die alten Fachwerkmauern, im Grunde so, wie sie errichtet worden sind. Vorher müssen wir das Fachwerk natürlich sanieren. Das Dach bekommt eine historische Eindeckung mit Doppel Muldenfalz-Ziegel, so dass die Halle selbst historisch aussieht.

Der größte Aufwand wird die Fachwerksanierung sein. Dann geht’s ins Innere: Dort entsteht ein kompletter Neubau: Den rücken wir etwas ab, so dass zwischen den beiden Bauten eine Luftfuge bleibt. Der Altbau ist, vereinfacht gesprochen, dann eine vorgehängte Fassade, die Witterungsschutz bietet. Alle bauphysikalischen und thermischen Anforderungen erfüllt die innere Hülle. In der Architektur ist dieses Prinzip unter dem Schlagwort „Haus im Haus“ bekannt. Unser Neubau im Innern wird aus gut einem Dutzend Kuben bestehen.

Es ergeben sich Blickbeziehungen auf die alte Substanz der Zuse-Halle und nach draußen.“

 

Trieschmann: Die Wohnfläche pro Etage beträgt rund 110 Quadratmeter, insgesamt ergibt sich eine Wohnfläche von rund 350 Quadratmeter Nutzfläche. Diese wollen wir für 13-14 Einheiten zum Wohnen und Arbeiten gestalten. Im Wohnkontext kann man bei den kleinen Einheiten von Mikroapartments sprechen, bis hin zur kleinen Zwei-Zimmer-Wohnung bei den größeren Einheiten bis 45 Quadratmeter. Die klassische Trennung von Wohnen und Arbeiten lässt sich aber auflösen. Für jemanden, der mal raus will aus dem Homeoffice kann es eine sehr interessante Alternative zu einem Co-Working-Space sein. Es ist also eine Wohn- wie auch eine gewerbliche Nutzung möglich. Die Gesamtmiete bleibt aufgrund der geringen Quadratmeterzahl relativ niedrig, vergleichbar mit einem WG-Zimmer.

Die inneren Fenster der Kuben werden übrigens größer sein als die äußeren der alten Halle. Das heißt: Von innen schaue ich auf Teile der alten Substanz, die wir weitgehend im Original belassen. So ergeben sich Blickbeziehungen auf die alte Substanz und nach draußen. Darüber hinaus wollen wir Loggien integrieren. In Teilbereichen rückt damit die innere Hülle von der äußeren Wand bewusst ab und springt zwei Meter zurück.

In ihrem Entwurf für die Zuse-Halle ist an der Stirnseite eine Silhouette des Gesichts von Konrad Zuse zu sehen. Was hat es damit auf sich?

Lars Wilhelm. Bildquelle: studioawLars Wilhelm; Architekt in der Denkmalpflege. Bildquelle: studioaw

Wilhelm: Die Fassade, auf der die Zuse-Silhouette künftig zu sehen sein wird, ist eigentlich abgebrannt. Der Rest des Gebäudes wurde dort nach dem Brand abgebrochen. Das wollen wir auch als Schnittstelle so darstellen und sichtbar machen. Wir machen bewusst einen Schnitt. Fachwerk an der Stelle würde suggerieren, dass das Gebäude dort auch historisch abschloss, was aber nicht der Fall war. Daher der Schnitt mit der Zuse-Silhouette an der Wand. Nur die Bewohner des Neubaus können diese Zuse-Silhouette übrigens sehen.

Trieschmann: Die Straße, in der die Zuse-Halle steht, ist im hinteren Teil geprägt durch kleinere Fachwerkhäuser. Es ist auch die Straße, in der sich die bekannte Hersfelder Wissens- und Erlebnis-Ausstellung „wortreich“ befindet, wo ein Konrad Zuse-Rechner steht. Dorthin sind es rd. 150 Meter. Die Straße geht dann in eine eher als Industrieareal zu bezeichnende Struktur über mit einem Backsteinbau, auf den aneinandergereihte Fachwerkhäuser folgen, ähnlich der Zuse-Halle. Dahinter waren Höfe, wie sie genannt wurden. Die Höfe aber waren das eigentliche Fabrikareal des Unternehmens von Konrad Zuse. Davon steht nur noch das nun von uns übernommene Gebäude, und auch deswegen halten wir es für so wichtig. Laut einem Gutachten wurde das Gebäude übrigens schon in den 1870er Jahren gebaut. Das hat mich deshalb überrascht, weil die Fachwerkbalken aus Nadelholz sind. Eigentlich hat man in den 1870er Jahren dafür noch Eiche genutzt Ich hätte es eher auf die 1930er geschätzt. Wie dem auch sei, die Zuse-Halle war von jeher eher ein unspektakulärer Zweckbau. Wegen des Wirkens Konrad Zuses in dem Gebäude ist sein kultureller Wert wesentlich höher anzusiedeln als der bauhistorische. Trotzdem ist es für uns sicherlich der schönste Bau auf dieser Kreuzung in Bad Hersfeld.

Dipl. Ing. FH Architekt AKHBjörn Trieschmann, zusammen mit Lars Wilhelm und Dennis Knöpp einer von drei Geschäftsführern der studioaw. Bildquelle: studioawDigitale Schatzsuche auf Zuses Spuren

 

Ihr Projekt haben Sie ZUSEZUSEHEN genannt. Gibt's außer dem Fassaden-Konterfei noch mehr Zuse?

Wilhelm: Es ist auch ein Wortspiel, denn man soll Zuse nicht nur sehen, sondern ihm quasi auch zusehen können. In Bad Hersfeld gibt es einen kulturellen Rundgang. Unsere Zuse-Halle soll eine Etappe auf diesem Rundgang sein. Am Gebäude soll ein QR-Code angebracht werden, mit dem man sich zur Geschichte des Gebäudes informieren kann, eine Art digitale Schatzsuche. Da möchten wir mit dabei sein. Das könnte mit Videos und anderen Features hinterlegt werden. Vorstellbar ist – analog gedacht - z.B. auch eine Schauvitrine, dort, wo der Code hinkommt.

Trieschmann: Unser Engagement für das Projekt ist keine Zufalls-Rettung. Vielmehr soll das Gebäude immer auch der Ort der Geschichte bleiben. Das Arbeiten mit denkmalgeschützten Gebäuden gehört zu unseren Schwerpunkten. Ein Beispiel: In Gießen haben wir elf alte Häuser umfunktioniert für Studentisches Wohnen, das Wohnheim um diesen alten Ortskern heißt Alt-Wieseck. Ähnliches reizt uns auch an der Zuse-Halle. Denkmalschutz und gutes Nachbarschaftliches Miteinander miteinander verbinden. Das Gebäude wird übrigens komplett autofrei. Es ist innerstädtisch gelegen und wird Fahrradabstellplätze haben. Autos dürfen nur zum Entladen, z.B. nach dem Wochenend-Einkauf parken oder wenn Besuch kommt.

Was sind für Sie planerisch und finanziell die größten Brocken? 

Trieschmann: Die Investitionssumme beläuft sich auf knapp 1 Million Euro, davon etwa 650.000 Euro finanziert, zuzüglich Eigenleistungen, die wir z.B. für Planerisches erbringen. Wir erhoffen uns schon Fördermittel, aber konkrete Zusagen gibt es noch nicht. Zu denken wäre dabei nicht zuletzt an die Holz-Fenster, deren Kosten insgesamt allein auf rund 100.000 Euro veranschlagt werden müssen. Die starke Kostensteigerung im Immobiliensektor spielt hier die entscheidende Rolle. Im vergangenen Jahr wäre hier noch mit „nur“ 60.000 Euro für die Fenster zu rechnen gewesen. Innen wie außen sind es ausschließlich Holzfenster. Die enormen Preissteigerungen am Bau machen auch uns zu schaffen.

Wilhelm (mit Augenzwinkern): Vielleicht sollten wir auch in die Forschung gehen. In Hessen haben Sie in der Zuse-Gemeinschaft noch nicht so viele Mitglieder. Spaß beiseite: Nicht in der Forschung, sondern in der Anwendung von Gebäude InnenlebenGut ein Dutzend Kuben sollen unter dem Dach der alten Zuse-Halle entstehen. Bildquelle: studioawErkenntnissen für nachhaltiges Bauen sehen wir bei studioaw unsere besonderen Stärken, neben dem Bauen in der Denkmalsubstanz. Nachhaltiges Bauen ist auch ein Schwerpunkt vieler Institute in der Zuse-Gemeinschaft, wie wir gehört haben. Über den weiteren Austausch würden wir uns freuen, auch mit anderen Zuse-Mitstreitern.

Wann ist Ihnen Konrad Zuse überhaupt zuerst über den Weg gelaufen?

Trieschmann (lächelnd): Zusammen mit Herrn Duden, dem zweiten historischen Konrad hier in Bad Hersfeld. Hier gibt es Zuse und Duden, daher kennt man ihn.

Wilhelm: Ich komme aus Alsfeld, das liegt rund 35 km westlich von Bad Hersfeld. Wenn wir, noch zu Mauerzeiten, mit dem Auto Richtung Osten zu Bekannten ins thüringische Mühlhausen unterwegs waren, sagte mein Vater immer, wenn wir an Hersfeld vorbeikamen "Hier wurde der Computer geboren".

Das Interview führte Alexander Knebel.