Die Arbeit für die ruhigen Tage hat Jan Buir noch nicht angefasst. „Wir haben gut zu tun“, sagt der Werkstoffprüfer vom Mikroskopie-Labor am Zentrum für Kunststoffanalyse und -prüfung (KAP) des Instituts für Kunststoffverarbeitung (IKV) in Aachen. In Zeiten der Corona-Krise ist das immer eine gute Nachricht.
Der junge Fachmann beugt sich über ein elektrisches Gerät, ausgestattet mit Düsen und rotierenden Tellern. Dort bereitet Jan Buir ein Kunststoffteil für die Analyse vor, indem er es schleift und poliert. Das Gerät ist für ihn ein alter Bekannter. Denn im Mikroskopie-Labor des IKV ist er dort eingestiegen, wo er vor vier Jahren seine Ausbildung begann und abschloss – erfolgreich, wie man so sagt. Und in diesem Fall trifft es das besonders gut. „Ziemlich gut geklappt“ habe es mit der Abschlussarbeit, erzählt der Rheinländer aus der Nähe von Köln mit einem gewissen Understatement. In der Prüfung musste er herausfinden, warum ein Kunststoff-Teil aus der Medizintechnik spröde geworden war.
Die Frage nach dem Einsatz von Lösungsmitteln brachte ihn auf die richtige Fährte – und ihm ein Ticket nach Berlin. Von den rd. 300.000 Azubis, die jährlich in Deutschland ihre Abschlussprüfung machen, war Buir einer von 200, die ins Berliner Hotel Maritim zur Ehrung der bundesweit Besten fahren durften. Von den Kunststoff-Werkstoffprü-fern war er der Beste. Daher ließ sich dies der junge Mann aus Kerpen in der Nähe von Köln nicht zweimal sagen.
Ein Azubi mit Lebenserfahrung
Wie es noch dazu kam? Neben seinem beruflichen Engagement bringt Jan Buir auch den Startvorteil von 30 Jahren Lebenserfahrung mit. „Die Suche nach neuen technischen Erkenntnissen hat mich schon immer interessiert“, sagt der junge Mann. Das sei auch ein Grund gewesen, warum er in Köln Mathematik und dann Physik studierte. Doch dabei gerät er in eine Sackgasse, kehrt der Uni schließlich den Rücken, schlägt sich eine Zeitlang als Nachhilfelehrer durch, bevor er sich bewusst für das IKV entscheidet. Und das IKV sich für ihn. Es sind zwei, die sich suchten und fanden: „Für unsere Aufträge in der Schadensanalyse sind große Beharrlichkeit, eigenständige Recherche und häufig eine gute Portion Forschergeist nötig. Wir suchen daher durchaus auch aktiv nach Leuten von der Uni“, erklärt Laborleiter Christoph Zekorn, der Buirs Ausbilder war.
Mit Buir – als Azubi ein Senior – hat sich das Mikroskopie-Team am KAP verjüngt, auch durch weitere neue Kollegen. „Wir sind ein dynamisches Team mit fünf Leuten um die 30 Jahre, begegnen uns auf Augenhöhe und sehen uns auch in der Freizeit, z.B. zu Ausflügen – wenn nicht gerade Pandemie herrscht“, erzählt Zekorn.
Auch ein Mann fürs Grobe
Bei Buirs Lieblingshobby macht er aber nicht mit: dem Mittelalter. „Das wäre mir zu rustikal“, sagt Zekorn. Jan Buir beschreibt es so: „Wenn nicht gerade eine Pandemie herrscht, tausche ich an bestimmten Wochenenden meine Kleidung des 21. Jahrhunderts gegen die eines Nordmanns und man findet mich in einer Gruppe von rund 8 Leuten in unserem Lager auf einem Mittelaltermarkt, wo wir auch übernachten.“
Und Kunststoff ist dann tabu – jedenfalls dort, wo es auffällt. „Wir haben nicht den Anspruch, absolut historisch korrekt das 9. Jahrhundert nachzubilden, aber Sichtkunststoff vermeiden wir – anders als Feldbetten aus Kunststoff“, erläutert der Hobby-Wikinger.
Mikroskopie – Mechanik – Physik – Plasma
Das Mikroskopie-Labor ist eins von vieren am KAP, in denen die Aachener Kunststoffexperten Schäden an Materialien analysieren, sei es für Forschungsprojekte oder für Einzel-Aufträge von Unternehmen. Neben der Mikroskopie gibt es Labors für mechanische Prüfung, so z.B. (?) zum Zug- und Härteverhalten, zur Physikalischen Prüfung, z.B. zum Fließverhalten, und das Plasmalabor für die Analyse und Entwicklung von Oberflächenbeschichtungen.
Unabhängig von der Branche gibt es schnelle Erfolgserlebnisse mit Aufträgen, die in wenigen Tagen erledigt sind ebenso wie Dauerbrenner, welche die Techniker mehrere Monate lang beschäftigen.
Die Arbeit des Werkstoffprüfers vergleicht Buir mit Detektivarbeit. „Die Vorgeschichte eines Falles müssen wir uns genauso anschauen wie die Oberfläche eines Objekts oder auch seine innere Struktur. Mit einem guten Plan finden wir dann in der Regel auch klare Indizien dafür, wie und warum z.B. ein Bauteil zerstört wurde.“
Seit Beginn der Corona-Krise hat sich der Branchenschwerpunkt bei den Analysen etwas verschoben, von der Fahrzeugindustrie stärker in Richtung Baubranche, Medizintechnik und auch in den Beauty-, also Kosmetikbereich“, schildert Buir. Das bringt auch einen verstärkten Fokus auf bestimmte Fragestellungen mit sich, wenn z.B. in der Kosmetikbranche optische Fragen der Verpackung naturgemäß eine größere Rolle spielen als in anderen Anwendungen.
Und die Arbeit für die ruhigen Tage? Da will sich Jan Buir darum kümmern, sich weiter in die Analyse chemischer Elemente zu vertiefen. Denn am IKV kann mit Hilfe eines speziellen Verfahrens - der energiedispersiven Röntgenspektroskopie - die Verteilung von Elementen wie Kohlenstoff im Material genau bestimmen werden. Daraus lassen sich dann wieder Rückschlüsse auf Qualitäten und mögliche Schadensquellen treffen. Buir weiß die Vorteile von Kunststoff, gerade von langlebigen Produkten, auch im Alltag des 21. Jahrhunderts zu schätzen. Er weiß aber auch, dass die Branche um ihren Ruf kämpfen muss. So setzt er darauf, dass Forschung und Entwicklung an Recycling-Produkten verstärkt stattfindet. Am IKV wird das schon mit einer langen Historie als Leitthema verfolgt so aktuell z.B. mit einem Projekt zur verbesserten Langlebigkeit von Kunststoff-Mehrwegflaschen. Nicht für Nordmänner im Schaukampf geeignet. Aber für den Rest der Republik.
Aufgezeichnet von Alexander Knebel, Stand: Juni 2020
Dieses Interview erschien in den ZUSE TRANSFERNEWS vom 07. September 2020.