Menschen in der Forschung

Jana Klammer mit einem Polymer-Phantom. Bildquelle: Zuse-Gemeinschaft

Wellen begleiten Jana Klammer schon, wenn sie morgens aufs Fahrrad oder ins Auto steigt. Hinter ihrer Wohnung fließt die Saale gen Norden. Der folgt die Wissenschaftlerin ins Hallenser Nordend. Dort, im Stadtteil Trotha, beginnt Jana Klammer an Werktagen zwischen halb acht und acht ihren Arbeitstag. Auf dem begleiten sie ganz andere Wellen: Die unsichtbaren, nicht hörbaren Schwingungen des Ultraschalls.

Jana Klammers Job ist es, aus den Wellen des Ultraschalls, die den menschlichen Sinnen entgehen, möglichst genaue Aussagen zu treffen. Am Forschungszentrum Ultraschall (FZ-U) mit seinem rund ein Dutzend Mitarbeitern leitet sie die Abteilung Medizintechnik.

„Ultraschall in der Medizin bedeutet für uns viel mehr als Beobachtung von Föten im Mutterleib. Uns geht es am FZ-U beim Medizinischen Ultraschall um nicht-bildgebende Ultraschallmethoden“, betont Jana Klammer. Was das bedeutet? „Wir messen mit Ultraschall physikalische Parameter, die Ärztinnen und Ärzte für die Diagnostik nutzen können“, erklärt die Wissenschaftlerin, die seit dreieinhalb Jahren am FZ-U arbeitet. Seitdem entwickelt sie mit ihren Kolleginnen und Kollegen Werkzeuge für Ärzte zur besseren Beurteilung von Messergebnissen. Beispiel Leber: Hinweise, ob unser Entgiftungsorgan gesund oder geschädigt ist, verschaffen sich Ärzte zuerst über den Tastbefund. Eine gesunde Leber ist in der Regel recht elastisch. Krankhafte Veränderungen des Organs gehen häufig mit Verhärtungen einher. Da kommt die Ultraschallelastographie ins Spiel, mit der sich der Gewebezustand ohne Eingriff messen lässt. Doch je nach Apparat und Technik können sich Resultate bei gleichem Gewebezustand unterscheiden.

Damit sich das ändert, sollen künftig die hier am FZ-U entwickelten Elastographiephantome zum Zuge kommen. Jana Klammer nimmt den Deckel von einer Metalldose und stülpt sie um. Zum Vorschein kommt ein milchig-weicher Kunststoff-Block, nicht fest und ziemlich elastisch. Die Wissenschaftlerin wiegt ihn zufrieden in ihren Händen. Es ist eines der Phantome, das sie und ihre Kolleginnen und Kollegen entwickelt haben. Mit künstlichen Organen haben diese Phantome nichts zu tun. Vielmehr geht es für die FZ-U Forschenden darum, den Elastographie-Ultraschall-Geräten möglichst praxisnahes Material zur Überprüfung von Messungen zu liefern.

Von der Kristallographie zur Sonographie

„Die Phantome haben wir im Projekt PhanSElast entwickelt, einem vom Bundeswirtschaftsministerium geförderten INNO-KOM Projekt, das wir trotz der Pandemie in den vergangenen Jahren vorangetrieben haben“, erzählt Klammer „Nicht alle Arbeiten konnten während der Pandemie planmäßig ablaufen, Laborarbeit im Home-Office ist einfach nicht möglich“, erklärt die Abteilungsleiterin die Folgen von Corona für die wissenschaftliche Arbeit in den letzten 18 Monaten. Nicht nur für die Wissenschaft, auch für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie sind es keine leichten Zeiten.

„Da sind sie, das sind die Scherwellen“, freut sich Jana Klammer und deutet mit dem linken Zeigefinger auf die Mitte des Computer-Bildschirms.

 

Als Jana Klammer 2018 ans FZ-U kam war ihre Tochter, heute viereinhalb Jahre alt, gerade in die Krippe gekommen, die junge Familie in Halle wieder heimisch geworden. „Mein Mann kann bei der Kinderbetreuung zum Glück vieles übernehmen, so die Wege zur Kita. So kann ich auf einer Vollzeitstelle arbeiten und habe doch viel von meiner Tochter“, erzählt sie. Zuvor hatte sie einige Zeit in zwei Unternehmen außerhalb von Halle, aber in der Region gearbeitet, weniger in der Forschung, sondern als Produktmanagerin mit einem Fokus auf Marketing und Vertrieb. Dabei kommt sie aus der Geochemie, studierte Mineralogie mit Schwerpunkt Kristallographie in Leipzig, machte danach am Max-Planck-Institut für Mikrostrukturphysik in Halle ihren Doktor und war dort auch als Postdoc tätig. „Zu einem guten Job gehört für mich beides, eine sinnvolle, spannende Tätigkeit und ein angenehmes Arbeitsumfeld. Beides habe ich am FZ-U“, sagt Klammer. Dazu gehören für sie auch familienfreundliche Arbeitsbedingungen, die sie am FZ-U vorgefunden hat. Im Projekt ZusaNnah, gefördert vom Bundesforschungsministerium, durchgeführt von der Zuse-Gemeinschaft zusammen mit der Universität Stuttgart, konnte sie als Mentorin einer jungen Wissenschaftlerin aus Baden-Württemberg Tipps für den Start im Job und an einem gemeinnützigen Forschungsinstitut geben. Dabei war das FZ-U für sie damals selbst noch ziemliches Neuland. DrKlammer 2 PortrtartikelWie man es dreht und wendet... Bildquelle: Zuse-Gemeinschaft

So weiß sie nun, was es heißt, zugleich in öffentlich geförderten Projekten wie PhanSElast zu arbeiten und Eigeneinnahmen für‘s Institut zu generieren. So bietet das FZ-U seit kurzem Ultraschallgeräteprüfungen an. „Das sind Geräte für die zerstörungsfreie Materialprüfung“, erläutert Jana Klammer, die die notwendige ISO9001-Zertifizierung ebenso gemanagt hat wie Kundenanfragen. „Da kommt mir meine Erfahrung in Marketing und Vertrieb zugute“, ergänzt sie. Die Norm, nach der am FZ-U geprüft wird, verlangt unter anderem eine Prüfung der Geräte auf Stabilität der Anzeigen. Das Frequenzverhalten des Verstärkers muss aufgenommen, der Eingangs-Störpegel ermittelt werden. Die Einzelheiten überlässt Jana Klammer jetzt den dafür trainierten Spezialisten am FZ-U.

Auch in ihrem vierten Jahr am Forschungszentrum Ultraschall (FZ-U) hat sie noch Entdeckerinnen-Erlebnisse und die Begeisterung dafür. „Da sind sie, das sind die Scherwellen“, freut sich Jana Klammer und deutet mit dem linken Zeigefinger auf die Mitte des Computer-Bildschirms. Dort sind pulsierende, zum linken und rechten Seitenrand des Bildschirms sich verbreitende Drittel-Kreise zu sehen, orange auf körnigem, dunklem Grund. Zuvor hatte die Wissenschaftlerin eines ihrer Phantome im Glas vorbereitet, ein Polymer, auf das sie dann den Ultraschall-Wandler legt. Die Scherwellen, das merkt man schon an Jana Klammers Begeisterung, sind nicht irgendwelche Ultraschallwellen. Vielmehr ist es genau die Art von Wellen, die das FZ-U in diesem Projekt braucht, um Phantome als Testmaterial für die Medizin zu nutzen. Das Besondere an ihnen: Scherwellen schwingen senkrecht zur Richtung ihrer Ausbreitung. Aus ihrer Ausbreitungsgeschwindigkeit kann die Elastizität des Materials bestimmt werden. Am Bildschirm sind die Wellenfronten dieser Scherwellen zu sehen, und auch nur deshalb, weil Jana Klammer in die Phantome aus Kunststoff so genannte Streukörper einbaut, die die Wellendarstellung erst ermöglichen.

Streukörper für Wellenfronten

Mitbeteiligt an der Entwicklung der Phantome ist Jana Klammers Kollege Dr. Christoph Pientschke, der Forschung und Entwicklung am FZ-U leitet. „Wir wollen die Scherwellen im Volumen sehen, das heißt, wir brauchen immer Streukörper, um überhaupt sehen zu können, dass da was ist. Die Streukörper reflektieren den Ultraschall und machen so die Wellenfronten sichtbar“, erläutert der Physiker und fügt hinzu: „Die Auswahl der Streukörper und ihre Verarbeitung sind unser Know-how.“

„Mit unseren Phantomen schaffen wir solche Materialien, die gerade noch federn und damit langsame Schergeschwindigkeiten ergeben.“

 

Der andere Teil der Gleichung ist das Material für die Phantome, wie fest oder weich diese sind. Da kann Jana Klammer auch ihre Chemie-Expertise nutzen. „Sie brauchen etwas, das quer federt. Deshalb gibt es bei Flüssigkeiten keine Scherwellen. Da hat man keine Kräfte in dieser Richtung. Mit unseren Phantomen schaffen wir solche Materialien, die gerade noch federn und damit langsame Schergeschwindigkeiten ergeben“, erklärt sie. Doch ist die Visualisierung der Scherwellen nicht Selbstzweck, sondern dient dazu, die Scherwellengeschwindigkeit zu messen. Diese ist in der medizinischen Anwendung der Phantome der entscheidende Parameter.

Scherwellen klein BeitragDie Scherwellen, wie sie Jana Klammer an ihrem Arbeitsplatz am Forschungszentrum Ultraschall sieht. Bildquelle: FZ-U

In öffentlich geförderten Projekten wie auch in Auftragsforschung und Dienstleistungsgeschäft kommt es Jana Klammer auf den guten Draht zu Partnern und Kunden an. Hier profitiert sie von ihrem Knowhow in Marketing und Vertrieb. „Das macht mir Spaß, auch das Entwerfen von Flyern oder andrem Informationsmaterial über das FZ-U und Projekte.“ Auch der fachliche Austausch spielt bei den Kontakten eine große Rolle. So hat das FZ-U einen U

ltraschallstammtisch geschaffen, schon vor der Entwicklung von Phantomen, um sich mit Praktikern aus der Medizin auszutauschen. Das dient auch der Rückkopplung der Forschungsarbeit. Wie gut die FZ-U-Phantome wirklich sind, könnte also bald Stammtisch-Thema werden.

Arbeitsspektrum von abstrakt bis hemdsärmlig

Jana Klammer hofft, dass der Stammtisch – nach Pandemie-bedingter Pause – nun auch bald wieder real in der Runde stattfinden kann. Denn nicht nur im Projekt PhanSElast schätzt das FZ-U den Austausch mit engagierten Medizinern, die Verbesserungsmöglichkeiten für ihre praktische Arbeit benennen. Daraus entwickeln sich dann auch neue Projektideen. So entstand in enger Zusammenarbeit mit einem Lübecker Arzt das Trainingsgerät LET für die Endosonografie. In zahlreichen Kursen bewährte sich das Gerät beim Trainieren von ultraschallüberwachten Eingriffen im Körperinneren. Die Kursteilnehmer haben mit diesem handlichen, kompakten Koffer die Möglichkeit, komplexe Untersuchungsmethoden zu trainieren, bevor sie solche Eingriffe an realen Patienten durchführen. Der Koffer wird dafür mit Übungsmaterial vom Schlachthof bestückt, mit Innereien vom Schwein, die dort normalerweise nicht genutzt werden und realitätsnah als Organersatz in der Medizinausbildung verwendet werden. Auch das Präparieren der Schweineorgane übernimmt das FZ-U. „Es macht mir weniger aus als anderen“, sagt Jana Klammer zu dieser Arbeit, von der sie vor dem Start am FZ-U nicht wusste, dass sie auf sie zukommt. Doch nur drei bis vier Mal pro Jahr ist für sie diese Arbeit notwendig. Und meist übernehme der Chef persönlich diesen nicht so angenehmen Job. Forschung am FZ-U kann manchmal sehr, sehr praxisnah sein. Da kann es auch eine Erleichterung sein, wenn man zu Phantomen und Streukörpern aus Kunststoff zurückkehren kann.

Alexander Knebel, Pressesprecher