Wenn für Sara Hadjiali die Chemie stimmt, hat das zunächst einmal viel mit Zahlen und Verteilungen zu tun: Für die Projektleiterin und designierte Geschäftsführerin des Pilot Pflanzenöltechnologie Magdeburg (PPM) ist die Chemie das Maß der Dinge, sobald es darum geht, Versuche und deren Resultate einzuschätzen.
„In der Chemie vereinen sich viele wissenschaftliche Disziplinen, die für Zukunftsfelder der Naturwissenschaften entscheidend sind“, sagt die Ingenieurin, die vergangenes Jahr an der Technischen Universität Darmstadt promovierte. Ihr Spezialgebiet: Die Spektroskopie, die Strahlung nach bestimmten Eigenschaften zerlegt. In ihrer Doktorarbeit widmete sie sich der Kernspinresonanzspektroskopie. Mit ihr lassen sich Informationen über die Struktur und Dynamik von Materialien in Flüssigkeiten gewinnen. In Darmstadt betrieb sie mit der Spektroskopie wertvolle Grundlagenforschung. Sie lässt sich in der Astronomie ebenso nutzen wie in der Bioinformatik in der Medizin oder für die Analyse von Molekülen in der Ernährungsforschung.
Für die Forscherin aus der physischen Chemie bedeutete ppm daher erst mal nur die Einheit parts per million – wie sie auch in der Spektroskopie ein wichtiges Maß ist. Doch diese „Vorbelastung“ bot Sara Hadjiali zugleich beste Voraussetzungen für den Einstieg bei PPM, wo Dienstleistungen rund um Analytik und technische Anwendungen von Ölen und Proteinen wichtige Einnahmequelle und Expertisefeld sind.
Von der Idee bis zur Industrie ein Projekt begleiten
Als die Forscherin im Sommer dieses Jahres nach Magdeburg wechselte, ergaben sich aber nicht nur in der Analytik, sondern auch in der Ernährungsforschung viele konkrete Anknüpfungspunkte. Zugleich ist der Ansatz nun ein ganz anderer als an der Uni. „Statt an sehr speziellen, zuweilen isoliert für sich zu betrachtenden Fragestellungen zu arbeiten, können wir bei PPM ein Projekt von der Akquise über die Ausgestaltung und Durchführung bis zur konkreten Anwendung in der industriellen Praxis begleiten“, betont die Chemikerin.
Der bisherige PPM-Geschäftsführer Frank Pudel hat in knapp 30 Jahren am Institut mehr als 100 Forschungsprojekte betreut. Für Sara Hadjiali haben die ersten Projekte begonnen. Darunter ein Forschungsvorhaben zur Nutzung von Hanf als Heilpflanze., um aus Öl und Fasern einen Vollextrakt zu fertigen, der das Potenzial des Inhaltsstoffes Cannabidiol (CBD) erschließt. Anders als Tetrahydrocannabinol (HTC) fehlt CBD die berauschende Wirkung. In der Medizin oder auch Ernährung wird für CBD viel Potenzial erwartet.
„Die personalisierte Ernährung dürfte künftig an Bedeutung gewinnen.“
Für Hadjiali ist das CBD-Projekt ein Mosaikstein im Profil von PPM, das sich schon unter Frank Pudel stark ausdifferenziert hat. Mittlerweile entfallen rund die Hälfte der PPM-Projekte und -Einnahmen auf chemisch-technische Anwendungen, die andere Hälfte sind Vorhaben aus der Ernährungsforschung. Und auch diese entwickelt sich rasant weiter. „Die personalisierte Ernährung dürfte künftig an Bedeutung gewinnen“, sagt Hadjiali und führt den 3D-Drucker des PPM vor. Er steht in einer Art Schau-Küche, wo Kunden und Forschungspartner live erleben können, wie die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in Magdeburg Ernährungsforschung betreiben und welche Produkte daraus entstehen.
Mehrere Standbeine, künftig zwei Standorte
Einige Nummern größer geht es künftig in der Proteinforschung des PPM zu. Im Magdeburger Vorort Barleben entsteht seit Anfang Oktober ein neues Technikum – Investitionsvolumen rd. 2 Millionen Euro, zu 90 Prozent gefördert vom Land Sachsen-Anhalt. „Schon bisher haben wir mehrere Standbeine in der Forschung und künftig wird das PPM dann zwei Standorte haben“, sagt Hadjiali, in deren Hände das Großprojekt nun bald wechseln wird. „Für unser wachsendes Feld der Proteinforschung bietet das Technikum ganz neue räumliche und technische Möglichkeiten und ich freue mich auf die Herausforderung“, sagt die Wissenschaftlerin und künftige Managerin des Instituts mit seinen 25 Beschäftigten.
Auch mit ihnen sollte die Chemie stimmen. „Bei PPM haben wir ein internationales Team, von dem ich mit offenen Armen empfangen worden bin“, sagt die Deutsch-Iranerin, die als junge Frau nach Deutschland kam und im Rhein-Main-Gebiet ein zweites Zuhause fand. Am Goethe-Institut absolvierte sie die fürs Chemiestudium notwendigen Kurse im Deutschen, eine Sprache, die sie schon zuvor mochte.
„Ich will etwas bewegen“
Ein weiterer Grund fürs Studium in Deutschland: Das attraktive Umfeld an der Universität. Als sie sich in Darmstadt im Sommersemester 2003 immatrikulierte, hatte Sara Hadjiali nur rund 25 Kommilitonen in ihrem Chemie-Jahrgang – ideale Bedingungen für den Start ins akademische Leben. In der Orientierungswoche lernte sie in Darmstadt ihre bis heute beste Freundin kennen. „Mit dem Umzug nach Magdeburg habe ich mich geographisch auch ein Stück von meiner deutschen Wahlfamilie entfernt“, erzählt Sara Hadjiali im PPM-Konferenzsaal mit Sicht auf die Brücken der Elbe. Die Stadt mag und schätzt sie, schon wegen ihrer langen, bewegten Geschichte.
Magdeburg ist für sie nun Neuanfang und Fortsetzung zugleich, denn sie knüpft beruflich an Themen und Motive an, die sie im akademischen Leben seit Jahren umtreiben. „Ich will etwas bewegen“, sagt Hadjiali mit Blick auf die erfolgreiche Industrieforschung am PPM. Dazu gehört für sie auch, mit dem PPM weiterhin einen interessanten Anlaufpunkt für Studierende zu bieten, durch die Projekte am PPM und durch eigenes Zutun. Denn zur Attraktivität deutscher Hochschulen will sie künftig selbst beitragen – mit einer geplanten Vorlesung, die sie in Magdeburg geben könnte, so zum Thema nachwachsende Rohstoffe. Dadurch wolle sie auch der deutschen Gesellschaft etwas zurückgeben. „Fossile Ressourcen werden zum Teil in wenigen Jahrzehnten aufgezehrt sein, deshalb und aus Gründen des Klimaschutzes müssen wir auch durch angewandte Forschung weiter an zukunftsfähigen Produkten arbeiten“, unterstreicht sie. An der Chemie für die richtigen Produkte liege es jedenfalls nicht. Sara Hadjiali ist überzeugt: „Die Vielfalt der Chemie bietet die Lösungen, die wir für eine nachhaltige Zukunft brauchen.“
Autor: Alexander Knebel
Stand: 2. November 2020