Während sich Kalb und Kuh blind verstehen, nutzt der Mensch zur Messung des Tierwohls Hilfsmittel. Bildquelle: Knebel / Zuse-Gemeinschaft

Ob es Nutztieren in der Landwirtschaft gut geht, lässt sich künftig anhand objektiv messbarer Kriterien bestimmen. Das wollen Forschende in einem noch bis Mitte 2023 laufenden Vorhaben erreichen, an dem das Institut für Agrar- und Stadtökologische Projekte an der Humboldt-Universität zu Berlin (IASP) maßgeblichen Anteil hat. Ebenfalls aus der Zuse-Gemeinschaft beteiligt ist das Institut für Fortpflanzung landwirtschaftlicher Nutztiere (IFN Schönow).

Bislang sind Tierhaltende bei der Beurteilung ihrer Milchkühe allein auf ihre Beobachtungsgabe angewiesen. Gibt es Rangkämpfe zwischen den Tieren in der Gruppe? Ist eine Kuh paarungsbereit? Lahmt ein Tier? Bei der Beantwortung solcher und weiterer Fragen soll künftig eine Tierwohlampel helfen, die Forschende aus der Zuse-Gemeinschaft zusammen mit Unternehmen derzeit in einem staatlich geförderten Projekt zur Praxisreife bringen.

Die Farben rot - gelb - grün der von den Forschenden entwickelten Tierwohlampel dienen als Orientierungspunkte bei der engmaschigen Erfassung physiologischer Messgrößen. Zu diesen Messgrößen gehören z.B. der Hautwiderstand und die Messung von Aktionsströmen der Muskeln über ein Elektromyogramm. Den landwirtschaftlichen Betrieben helfen solche Kriterien zu erkennen, ob die Tiere gestresst oder krank sind oder ob sie sich wohl fühlen.

Gesundheitsdaten mit Mehrwert für Verbraucher und Betriebe
Erfasst werden die Daten an der Kuh über eine elektronische Ohrmarke. Kommt die Kuh an den Melkstand, werden die Daten ausgelesen. Denn am Melkstand befindet sich gleichzeitig die Basisstation der Tierwohlampel. Sie übermittelt die Daten ans IASP. Von dort werden sie für das Herdenmanagement der Betriebe aufbereitet. Neben der Fitness und der Gesundheit der Tiere sammeln die Wissenschaftler auf den Betrieben auch Daten zur Fütterung, zur Fruchtbarkeit, zum Tierschutz und zum Management der Kuhherden. Das hilft sowohl in kleineren Herden wie auch in sehr großen Betrieben.

 „In der aktuellen Projektphase erheben wir eine Vielzahl an Referenzwerten, um die Daten der Ohrmarke möglichst sicher interpretieren zu können“ erklärt Dr. Nanna Pflugfelder. Die Tierärztin betreut am IASP das Projekt, in dem rund 100 Kühe die Ohrmarke erhalten. Die Tiere stammen von der Tierzucht Heinersdorf GbR, einem landwirtschaftlichen Betrieb, in Märkisch Oderland zwischen Berlin und Frankfurt/Oder.IASP Pflugfelder Tierwohlampel Ohrmarke verpixelt Jan21Kuh mit smardtag - der elektronischen Ohrmarke zur Bestimmung von Tierwohl und Tiergesundheit. Bildquelle: IASP

„Für landwirtschaftliche Betriebe bietet die Tierwohlampel zahlreiche Vorteile, indem sie Brunst, Kalbezeitpunkt oder auch Krankheiten der Tiere frühzeitig erkennen können. Auf Basis der Daten erhalten die Landwirte Handlungsempfehlungen in den Ampelfarben und damit eine schnelle Übersicht“, erklärt Dr. Pflugfelder.

In einer ersten Phase hatten die IASP-Forschenden in einem Vorgänger-Projekt mit mehreren landwirtschaftlichen Betrieben in Brandenburg kooperiert. Dabei konnten sie zeigen, dass die Ohrmarke gut funktioniert und die gewünschten Informationen liefert. In der zweiten Projektphase sollen nun bis Mitte 2023 die nächsten Schritte folgen, um ein konkurrenzfähiges Produkt zu entwickeln.

Strombedarf und Informationsdichte
Ein wichtiger Punkt für die Forschenden aus technischer Sicht: Die Aufladung der Akkus für die elektronische Ohrmarke. Hier müssen die Forschenden die richtige Balance zwischen Strombedarf einerseits und notwendiger Informationsdichte andererseits finden.

Bei erfolgreicher Umsetzung soll die Tierwohlampel in bestehende Software-Lösungen der Data Service Paretz GmbH (dsp) für das Management von Milchviehbetrieben integriert werden. Unter dem Namen smardtag haben sich die Forschungspartner die Ohrmarke bereits schützen lassen.

 Der Träger des Projekts ist die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE), das Förderprogramm die Deutsche Innovationspartnerschaft Agrar (DIP-Agrar).

 Stand: Februar 2020