Mit flüchtigem Mattierungsstoff aufbereitete TV-Fernbedienung. Bildquelle: ITW e.V.

Sei es in Produktion, Dokumentation oder Qualitätssicherung: Die Digitalisierung hält in der Industrie immer stärker Einzug. Welche Vorteile dieser Megatrend – auch bekannt unter dem Stichwort Industrie 4.0 – in der Praxis bringen kann, zeigt das Forschungsinstitut ITW e.V. Chemnitz Institut für innovative Technologien gemeinsam mit Partnern in der optischen Digitalisierung.

Gefördert vom Bundeswirtschaftsministerium und in Kooperation mit Unternehmen aus Nordrhein-Westfalen und Hessen haben die Forscher aus Chemnitz ein Verfahren entwickelt, das für die digitale Laser-Vermessung ohne Kreide- oder Pigmentstoffe auskommt, die bislang u.a. bei reflektierenden Objekten zum Einsatz kommen.  Die Innovation aus Sachsen läutet damit gewissermaßen das Ende der Kreidezeit in der optischen Digitalisierung ein. Das kommt z.B. der Medizin- und Fahrzeugtechnik zugute, Branchen, in denen additive Fertigungsverfahren wie Drucken und Laserschmelzen immer wichtiger werden.

Laserscanner für Produktentwicklung, Qualitätssicherung und Montage
Laser- und Streifenlichtscanner sind heute unverzichtbare Werkzeuge in Produktentwicklung, Qualitätssicherung und Montage, um Bauteile berührungslos und dreidimensional zu messen. Im Vergleich der Messwerte mit hinterlegten Konstruktionsdaten sind Form- und Maßabweichungen an den gefertigten Komponenten durch die digitale Erfassung rasch feststellbar. 

Allerdings eignen sich Bauteile unterschiedlich gut für das 3D-Scannen. Bei transparenten, dunklen oder glatten Objekten, die das Licht durchlassen, aufnehmen oder spiegeln, drohen fehlerhafte Messungen. Solche schwer messbaren Objekte besprüht man deshalb bislang vor dem Scannen häufig mit weißem Kreide- bzw. Pigmentstoff. Das bringt aber Nachteile mit sich: Das Entfernen der lockeren Pulverschicht ist bei filigranen Bauteilen aufwändig. Oft bleiben laut ITW Rückstände auf dem Objekt. Auch droht ein Zerkratzen sensibler Funktionsoberflächen durch die festen Partikel der Weißmittel.

Ringförmige Kristalle lösen sich von allein wieder auf
Für solch schwierige Bauteile und Objekte fanden die Chemnitzer Forscher nun eine bessere Lösung: In dem vom Bundeswirtschaftsministerium im Rahmen des Programms INNO-KOM geförderten Projekt TempCoat gelang ihnen die Entwicklung einer schonenden Mattierung ohne aufwändige Reinigung.

Der Ansatz beruht auf der Verwendung organischer Kristalle als Filmbildner. Durch ihre ringförmige Struktur aus Kohlenstoff- und Wasserstoffatomen reagieren solche Verbindungen nicht mit anderen Stoffen, also auch nicht mit dem Messobjekt. Ein weiterer Vorteil: Bereits bei Raumtemperatur lösen sie sich nach wenigen Stunden wieder vollständig auf, so dass eine Reinigung der digitalisierten Objekte nicht notwendig ist.

Einsatz auf großen Oberflächen, auf scharfen Kanten oder Rändern
„In dem Forschungsprojekt gelang es uns, flüchtige weiß deckende Schichten zu erzeugen, die sich hervorragend für hochauflösende optische 3D-Digitalisierungen eignen. Die neuen flüchtigen Weißmittel lassen sich ohne Vorbehandlung auf beliebige technische Oberflächen aufbringen.  Im Gegensatz zu Pigmenten ist die Schicht berührfest, und auch scharfe Kanten und Ränder werden homogen beschichtet“, erläutert ITW-Geschäftsführer Dietmar Scholze.

Nachweis mit handelsüblichen Scannern
Das vom ITW entwickelte Verfahren lässt sich nach Einschätzung der Forscher nicht nur für die Digitalisierung komplizierter Prototypen und für in Serie gefertigte Bauteile aus der Industrie aus Metall, Glas, Keramik und Kunststoff verwenden. Vielmehr kommt es auch für große Struktur- und Flächenbauteile, z.B. für Produkte aus Carbonfasern infrage. Außerdem lässt sich das Verfahren mit seinen flüchtigen Rezepturen auch zur Digitalisierung empfindlicher Kunstobjekte und für archäologische Funde einsetzen.

Die Messfähigkeit der Mattierungen wurde mit am Markt verfügbaren optischen Scannern nachgewiesen. Der Messvergleich erbrachte laut ITW keine signifikanten Unterschiede zu etablierten Kreidemitteln.

Kooperationspartner aus Hessen und Nordrhein-Westfalen für Verarbeitung und Vermarktung
Nach der erfolgreichen Förderung des Projekts im Programm INNO-KOM geht es nun an die Verbesserung von Details: Für die optimale Verarbeitung der neuen Stoffgemische arbeitet das ITW mit Spezialisten für Oberflächentechnik der Firma Krautzberger GmbH im südhessischen Eltville zusammen. Im dortigen Applikationslabor wurden erste Sprühtests mit speziellen Heißwachsapparaten und einem Roboter durchgeführt. „Das Unternehmen unterstützte das Einzelprojekt mit Rat und Tat“, betont Scholze den Wert der überregionalen Kooperation.  Mittlerweile kooperiert das Chemnitzer Institut auch mit dem Unternehmen Scanningspray aus Dortmund, das die neue Mattierungslösung vermarkten wird. 

Zudem läuft derzeit ein FuE-Folgeprojekt im Rahmen des Programms INNO-KOM, um geeignete Rezepturen und Sprühtechnik für die hochauflösende optische 3D-Mikromesstechnik noch genauer zu bestimmen. „Künftig sollen weitere frei zugängliche, preislich günstige Stoffe und Stoffkombinationen erschlossen werden, um temporäre Hilfsschichten, beispielsweise für das Präzisionsfügen, zu erzeugen. Damit wäre ein weiterer Schritt für das Ende der ‚Kreidezeit“ in der optischen Digitalisierung getan“, sagt ITW-Geschäftsführer Scholze.

Die Vermarktung der Forschungsergebnisse erfolgt derzeit mit dem gewerblichen Unternehmen Scanningspray. Das Projekt ist auch in dieser Hinsicht ein Beispiel für erfolgreichen Technologietransfer.

Stand: Januar 2020