Kann man im Englischen viele verschiedene Hüte aufhaben, wie es eine Redensart will, so muss man sich im Deutschen dafür entscheiden, welchen Hut man gerade aufhat. Für Katja Schenke-Layland gilt dies nur bedingt.
Die Biomedizinerin ist nicht nur Professorin für Medizintechnik und Regenerative Medizin sowie Studiendekanin am Forschungsinstitut für Frauengesundheit der Universität Tübingen, sondern seit knapp zwei Jahren auch Leiterin des Naturwissenschaftlichen und Medizinischen Instituts (NMI) in Reutlingen.
„Das NMI ist ein An-Institut der Universität Tübingen und als solches eng mit der Universität verflochten. Im Zusammenspiel von angewandter Forschung am NMI und Grundlagenforschung sowie Lehre an der Uni Tübingen können wir den Transfer zukunftsweisender Erkenntnisse in die Praxis spürbar beschleunigen und beiderseits unsere Leistungsprofile erweitern“, erklärt die Biologin die erfolgreiche Partnerschaft.
Dabei ist die Doppelfunktion an Instituten der Zuse-Gemeinschaft nichts Ungewöhnliches, doch Katja Schenke-Layland hat noch mehr Hüte auf. Mehrmals im Jahr fliegt sie an die University of California in Los Angeles (UCLA), wo sie Projekte verfolgt, die sie dort während ihrer zehnjährigen Arbeit als Postdoc und Professorin angestoßen hat.
„In L.A. arbeite ich noch immer gemeinsam mit einem eingespielten, interdisziplinären Team von Biologen und Medizinern. Ergänzend zu meinen Forschungen in Deutschland ist auch an der UCLA ein zentrales Forschungsthema, das Tissue Engineering, die Gewebezucht aus Stammzellen“, erklärt die Wissenschaftlerin, die 2010 aus den Vereinigten Staaten nach Deutschland zurückkehrte.
KI-Kooperation mit Frankreich
Sei es der Austausch mit Kolleginnen und Kollegen in den USA, in EU-Ländern oder anderen Staaten: Internationale Kooperationen sind lebenswichtig für Katja Schenke-Laylands Forschung und das NMI in der interdisziplinär und arbeitsteilig geprägten Biomedizin. Angesichts der Regularien für die Biomedizin einerseits und der stetigen Suche nach attraktiven Förderprogrammen andererseits sei dies der einzig erfolgversprechende Weg.
Das gelte nicht nur für das Tissue Engineering und die damit verbundene Stammzellenforschung, sondern z.B. auch für die Nutzung Künstlicher Intelligenz (KI) in der Medizintechnik. „Zwar tut sich hier in Tübingen – nicht zuletzt durch die Cyber Valley Initiative – vieles in Sachen KI und wir haben in direkter Nähe einen Kreis exzellenter Medizininformatiker, doch reicht das bei weitem nicht aus, um unsere zahlreichen Projekte voranzutreiben. Deshalb suchen wir bewusst nach weiteren Kooperationspartnern, beispielsweise in Frankreich, das eine sehr starke KI hat, die wir in unsere Gesundheitsforschung einbinden können“, sagt die Forscherin, die erst kürzlich auf einer Delegationsreise mit Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann in Paris neue Kontakte geknüpft hat.
Gewebezucht: Die Zellzwischenräume im Visier
Das Ziel modernen Tissue Engineerings: Durch gelenkte Kultivierung von Zellen außerhalb des Körpers künstliches Gewebe erzeugen, das krankes Gewebe im Patienten ersetzt oder es ermöglicht, Patienten-abgeleitete Testsysteme zu erschaffen. Dabei hat sich Schenke-Layland aber nicht auf die Zellen selbst, sondern vielmehr auf den Gewebeanteil zwischen den Zellen, die sogenannte extrazelluläre Matrix, spezialisiert. „Über diese Matrix kann man die Entwicklung der Zelle steuern. Bettet man eine Stammzelle z.B. in eine steife Fasermatte ein, entwickelt sie sich zu Knochengewebe, umgibt man sie mit einer weichen Umgebung wie einem Hydrogel, kann sie zu Knorpelgewebe werden“, erläutert die Wissenschaftlerin. Sie forscht quasi außerhalb der Zellen, im Interzellularraum, für die Zellen der Zukunft.
Weil die Umgebung der Zelle so entscheidend für deren Entwicklung ist, legt Schenke-Layland bei ihren Studierenden in Tübingen auch so viel Wert darauf, dass sie sich histologische Schnitte von Geweben ganz genau auch auf solche Strukturen hin anschauen. „Diese extrazellulären Strukturen haben eine große Bedeutung, wenn man in Richtung klinische Anwendung gehen möchte.“ Während ihre Forschergruppe an der Uni vorwiegend Grundlagenforschung betreibt, liegt der Fokus der Gruppen des Bereichs Materialwissenschaften am NMI auf dem Transfer von Biomaterialien in eine medizinische Anwendung.
Hier arbeitet man beispielsweise eng und erfolgreich mit einer Ausgründung des Instituts, der TETEC AG, in der Forschung und Produktentwicklung für Knorpelgewebe zusammen. „Die TETEC verwendet synthetische Biomaterialien als Trägerstoff für Implantate, wir an der Uni hingegen betreiben Grundlagenforschung zur natürlichen, extrazellulären Matrix“, erläutert die Studiendekanin.
Sie selbst studierte in den neunziger Jahren Biologie, Soziologie und Psychologie in Jena. Es war eine Zeit des Wandels in der Studentenstadt an der Saale. Als einzige ihres Jahrgangs schloss sie das Studium mit der anspruchsvollen, exotisch anmutenden, aber für ihre heutige Arbeit sehr passenden Mischung von Natur- und Geisteswissenschaften erfolgreich ab. Denn die gesellschaftliche und ethische Dimension der Biomedizin müssen die Forscher stets mitdenken.
Erst nach fertigem Studium stieg Schenke-Layland in die Medizin ein. Nach einem Pflegepraktikum auf der Intensivstation wollte sie Ärztin werden. Doch weil das praktisch noch ein Studium obendrauf gebraucht hätte, entschied sie sich dafür, Menschen aus dem Labor heraus zu helfen – eben mit der Gewebezucht. So kam es zu ihrer Doktorarbeit zur Herstellung von Ersatzgewebe für das Herz-Kreislauf-System.
Das Immunsystem als Herausforderung
Auf diese Teile des Körpers – Herz und Gefäße – richten sich seit Jahren starke Erwartungen an die Stammzellenforschung. Doch sind die Fortschritte hier nicht so rapide wie von vielen ursprünglich erhofft. „Das zuweilen schematische Denken des Ingenieurs hilft, um Lösungen für den Bau von Geweben und Organen zu entwickeln, doch die Biologie schlägt uns eben häufig noch ein Schnippchen, wenn es darum geht, Gewebe oder Organe in den menschlichen Körper zu bringen“, sagt Schenke-Layland.
Nach wie vor eine zentrale Herausforderung: Die Verträglichkeit gezüchteter Gewebe – und später einmal Organe – im Körper zu sichern. Denn aus embryonalen Stammzellen hervorgebrachte differenzierte Zellen entwickeln ein eigenes Immunsystem. Das ist ein Grund, warum so manches Projekt zu humanen embryonalen Stammzellen (hES) aufs Auge fokussiert, wo es die von den Forschern gefürchtete Immunabstoßung in einem bestimmten sogenannten immunprivilegierten Raum nicht gibt.
Ob hES-Forschungsprojekte stattfinden dürfen, entscheidet in Deutschland bundesweit die Zentrale Ethik-Kommission für Stammzellenforschung (ZES). Von Fall zu Fall, für jedes Projekt. Katja Schenke-Layland ist eines von neun Mitgliedern der ZES. In den letzten Jahren hat die mit Biologen und Medizinern ebenso wie mit Vertretern aus Ethik und Theologie besetzte Kommission immer mehr Forschungsprojekte vorgelegt bekommen und auch genehmigt. Doch für die Ergebnisse dieser Forschung ist der Weg in die Klinik in Deutschland schwieriger als in anderen Ländern wie beispielsweise England und Israel – eine paradoxe Situation. „Das deutsche Stammzellengesetz ist mit seiner Beschränkung auf die Forschung derzeit eine Barriere für die medizinische Translation“, moniert Schenke-Layland.
EU-Ausschreibungen stärker für Medizintechnik öffnen
Auch wegen der Regularien für Forschung und Medizin in Deutschland sind arbeitsteilige, grenzüberschreitende Projekte für Schenke-Laylands Arbeit so wichtig. „Wir müssen uns die Freiheit zu Kooperationen mit internationalen Partnern wahren“, mahnt sie. Dabei denkt sie nicht zuletzt an die Europäische Union, die 2021 das neue große Forschungsrahmenprogramm Horizont Europa startet. „Die aktuellen Ausschreibungen für EU-Förderprojekte konzentrieren sich stark auf die Krebsforschung. So wichtig diese auch ist, wir dürfen künftig in der Gesundheitsforschung nicht nur auf den Krebs fokussieren, sondern wir müssen auch weiterhin innovative Forschung in den Bereichen Biotechnologie und Medizintechnik vorantreiben“, betont die Biologin.
Mini-Organe aus dem Labor könnten Tierversuche ersetzen
Gemessen wird ihre Forschung naturgemäß am Nutzen für den Menschen – auch deshalb plädiert sie für mehr Praxisnähe im Stammzellengesetz. Wird es künftig eine Leber aus dem 3D-Drucker geben? Für solch komplizierte Organe aus dem Labor sei die Zeit noch nicht reif, sagt die NMI-Chefin. Doch eine realistische Perspektive sieht sie für Mini-Organe aus dem Labor, die außerhalb des Körpers funktionieren. Deren Zweck? An solchen Organen ließen sich Medikamente testen, so dass man Tierversuche in diesem Bereich stark reduzieren könnte. „Das wird auf jeden Fall mit Tissue Engineering und mit Drucktechnologien möglich sein“, sagt Schenke-Layland.
Eine Hürde bisher: Die fürs Drucken notwendige Flüssigkeit, die Tinte. Bei bislang erforschten Verfahren funktioniere das noch nicht mit allen Zellen, so die Forscherin. Trotzdem sei man schon so weit, dass sich Zellen verdrucken ließen. Mit Gewebe funktioniere das aber noch nicht.
An dieser wie an anderen Stellen besteht der Reiz ihres Forschungsgebiets für Katja Schenke-Layland darin, zum einen in der Grundlagenforschung an langfristigen Lösungen zu arbeiten und zum anderen in der angewandten Forschung direkt verwendbare Ergebnisse zu erzielen. Angesichts der schwierigen Gesetzeslage einerseits und der sensiblen Themen rund um Krankheit und Gesundheit andererseits findet sie: „Als Forscherin verstehe ich es auch als meine Aufgabe, Transparenz zu schaffen und die Dinge so zu vermitteln, dass die Menschen biomedizinische Fragen im Kern verstehen können - egal welchen Hut ich gerade aufhabe.“