Andreas Muskolus ist ein Forscher mit Versuchslabor im Freien. In Corona-Zeiten eine Open Air-Variante mit viel Charme. Und die hat er immer: Knapp 50 km westlich von Berlins Stadtmitte leitet Muskolus die Versuchsstation Berge des Instituts für Agrar- und Stadtökologische Projekte (IASP) an der Humboldt Universität. 15 Hektar, rund 10 Mitarbeitende von Studierenden bis zum Techniker, kein Bauernhof, keine Ställe, dafür ein Gewächshaus, schnelles Internet und gut vernetzte Büros.
Der Name des Instituts ist Programm: Es geht um Land und Stadt, um Ernährung und Lebensmittel, um Agrar und Stadtgrün. „Die Berliner Forschenden des IASP haben in Berge ‚eine Spielwiese‘“, sagt Muskolus. Da mag die Ironie des Brandenburgers gegenüber den Großstadtpflanzen mitschwingen – oder einfach die Servicementalität des Industrieforschers.
Doch ist Muskolus gar kein echter Brandenburger. Sein sächsisches Dorf musste, als er Kind war, in den achtziger Jahren den Braunkohlebaggern weichen, die Familie zog nach Sachsen-Anhalt, wo sein Vater, von Haus aus Landwirt, nach der Wende Ackerland kaufte. Landtechnik mochte der Vater nicht so, lieber Pferde. Der Sohn füllte die Lücke, war gefordert, wenn die alten russischen Traktoren Reparaturen brauchten.
Russische Traktoren prägten den Technikfan
Das Technikfaible ist geblieben. Das braucht er in Berge. Nicht weil’s bei der Landtechnik hapert. Sondern, weil die immer anspruchsvoller wird. Die Geräte für Aussaat, Pflanzenschutz und Bodenarbeiten lassen sich per GPS steuern.
„Damit können wir Arbeitsvorgänge Zentimeter-genau auslösen. Um unsere Versuche korrekt ausführen und systematisch bewerten zu können, ist GPS für uns ein riesiger Vorteil“, erklärt Muskolus.
Auch er „egget und sät“ im März. Doch mit GPS und Co. macht er das nicht so wie die meisten seiner Nachbarn im Havelland, sondern so, wie es Wissenschaft und Auftragsforschung fordern. Wenn Andreas Muskolus „seine“ Felder instand setzt, Wiesen gibt’s in Berge nicht, denkt er nicht zuerst an die Pflanzen, sondern an den Boden. Der ist in Berge an vielen Stellen nicht so sandig wie in vielen anderen Ecken der Mark, sondern in breiten Streifen auch mal lehmig und deutlich über Brandenburger Durchschnitt.
Nahrung kommt von Nährstoffen
Gerade weil die Böden bei Nauen so unterschiedlich sind, lässt sich bestens zur Düngung forschen. Dabei geht es Muskolus zum einen darum, wie viel Hilfe die Pflanze auf dem Acker braucht. Zwischenergebnisse zur Stickstoffdüngung, aus einem EU-geförderten Projekt, die er für die Zuse-Gemeinschaft Journalisten vorstellte, sorgten für viel Gesprächsstoff in der Öffentlichkeit, so in Regionalmedien und Agrarszene. Zum anderen kämpft der Pflanzenbauer für echte Kreislaufwirtschaft. Schon in seiner Doktorarbeit beschäftigte er sich vor rd. 15 Jahren mit „Anthropogenen Pflanzennährstoffen als Dünger“. Konkret ging es um Urin und Fäkalien als Dünger am Beispiel einer Siedlung am Berliner Stadtrand. „Heute, da die Nutzung von Klärschlamm auf dem Acker meist verboten ist, gehen noch mehr wertvolle Nährstoffe der Landwirtschaft unwiederbringlich verloren“, beklagt der 43-jährige Pflanzenbauer. Sein Steckenpferd in der Forschung: Struvit, ein Stickstoff-Phosphat-Dünger aus der Abwasserbehandlung.
Um di
esen Dünger geht’s für Muskolus in diesem Jahr auch, wenn er im März in Berge düngt, bevor er sät. GPS-gesteuert wird der Dünger in kleinen Presslingen in einem schmalen Band von 3 cm Breite und in 15 cm Tiefe ausgebracht, bevor die IASP-Experten Kartoffeln auf dem Düngeband pflanzen. Nächstes Jahr steht Mais in der Reihe. „Als Pellet ist Struvit für solche Reihenkulturen besonders gut geeignet, denn er löst sich als Unterfußdünger nur langsam auf und die Pflanzen können zwei Jahre lang auf ihn zugreifen. Durchmesser und Länge der Pellets haben einen Einfluss auf den Zerfall der Presslinge und damit auf die Nährstoffaufnahme, so unsere Annahme“, erklärt Muskolus.Kritik am Ökolandbau
Er wirbt dafür, Struvit im Ökolandbau einzusetzen, eine Frage der Akzeptanz und der Regeln der Anbauverbände. „Der Ökolandbau muss sich fragen lassen, ob er durch den relativ starken Einsatz mineralischer Dünger wie Kalium und Phosphat nicht seine Glaubwürdigkeit aufs Spiel setzt. Denn auch diese Ressourcen sind wie fossile Energien endlich und ihr Einsatz widerspricht dem Anspruch der Kreislaufwirtschaft“, so Muskolus. Er verweist darauf, dass selbst der Düngekonzern Yara schon einen Recyclingdünger anbiete.
Landwirtschaft ist mehr als Ernährung
Für Muskolus sollte die Landwirtschaft künftig noch viel stärker weitere Funktionen neben der Lebensmittelproduktion wahrnehmen. Meine man es ernst mit Energie- und Rohstoffwende, müsse die Landwirtschaft Alternativen zu Erdölprodukten in der Industrie anbieten, so für Kunststoffe und Kunstfasern. „Wo wir fossile Rohstoffe in der Industrie ersetzen wollen, muss es künftig an sehr vielen Stellen die Landwirtschaft leisten“, meint Muskolus und verweist darauf, dass traditionell rund ein Drittel der Agrarflächen für die Bereitstellung von Rohstoffen für Textilien oder Energie genutzt wurden. „Das Konzept der Bioökonomie bildet genau das ab, dass nachwachsende Rohstoffe viel stärker als bisher unser Leben prägen sollen“, betont der Pflanzenbauer. Hoffnung setzt er auch auf Hanf, ein Gewächs, zu dem in Berge Sortenversuche laufen – mit Blick auf den medizinischen Nutzen, nicht aber auf das Potenzial der Fasern. Auch hier gilt es also noch, Kreisläufe zu schließen.
Denn Forschung guckt ausschnitthaft auf die Dinge, fokussiert auf ihr Objekt. Auch in der Industrieforschung. Als Agrarwissenschaftler weiß Muskolus, dass der Begriff „Industrie“ für viele Verbraucher im Kontext Landwirtschaft belastet ist. Der IASP-Wissenschaftler wirbt indes für „industriellen Fortschritt“, so durch Präzisionslandwirtschaft. Oder auch durch den gezielten Einsatz von Pflanzenschutzmitteln. „In diesem Jahr haben wir leider keine Rapsanbauversuche, denn die Kohlfliege macht momentan so viel Probleme und sinnvolle Mittel sind derzeit nicht zugelassen“, sagt er.
KI für die Forschung und Naturliebhaber
Kooperationspartner der Versuchsstation Berge sind Konzerne wie KWS und BASF ebenso wie mittelständische Agrarberater, ein Bio-Betrieb aus dem Ort oder ein Drohnen-Anbieter aus der Schweiz. Solche Fluggeräte können eine Fülle von Daten für die Landwirtschaft liefern.
Die immer größere Fülle und Dichte solcher Daten, die Andreas Muskolus mit seinem Team aus seinen digitalen Hilfsmitteln herauskitzelt, ist für die Forschung ein Segen – die Kunst das richtige Filtern der Informationen. Oder besorgt das künftig allein die Künstliche Intelligenz?
„Denken Sie z.B. an Apps für Naturliebhaber: Fürs Forschen mit der Natur gibt’s heute schon eine starke Nachfrage nach digitalen Tools, so Apps, die Vogel- oder Insektenarten erkennen. Da hilft KI auch. Insgesamt denke ich gibt’s momentan schon eine Bewegung hin zu größerer Naturnähe, ebenso wie Techniktrends laufen“, meint Muskolus.
Gläserner Landwirt schreckt ab
Für die klassische Landwirtschaft sieht Muskolus Grenzen der Digitalisierung. „Der gläserne Landwirt ist für mich kein Idealbild“, sagt er und sieht Grenzen dort, wo ein Mehr an Wissen den Menschen nicht unbedingt mehr nützt.
Auch sorgt er sich um das Standing der Landwirte, die in ihrem Arbeiten häufig unter Generalverdacht gestellt würden. „In den Reaktionen auf unsere Forschungsarbeit durch Veröffentlichungen sehe ich aber, wie viele Ackerbauern nicht nur an unserem Kernthema Kreislaufwirtschaft dran sind, sondern auch wie viele echte Verbesserungen umsetzen wollen“, sagt der Forscher.Die Reaktionen auf solche Beiträge kommen aus ganz Deutschland, Muskolus ist international vernetzt, hat in Mittel-England einen Master gemacht, später in Southampton gelehrt. „Andererseits habe ich erst jetzt durch Corona gemerkt, dass ich mich hier in der Region um Nauen, wo ich seit 10 Jahren wohne, gar nicht so gut auskenne und habe Menschen im Dorf besser kennengelernt“, erzählt Muskolus, der mit seiner Familie im acht Kilometer entfernten Nauen wohnt. Ein waschechter Brandenburger ist er eben doch noch nicht.
aufgezeichnet von Alexander Knebel, Pressesprecher, März 2021