Dr. Horst Zuse, ältester Sohn unseres Namensgebers Konrad Zuse, im Interview über sein Leben in der Nachfolge des Computer-Pioniers, über seine eigene Informatik-Forschung und über die Vorzüge des Ur-Computer Z3.
Herr Zuse, im Mai 2021 wird die Z3, der von ihrem Vater Konrad Zuse geschaffene erste funktionstüchtige Computer, 80 Jahre alt. Sie bauten diesen Rechner 2010 nach. Wie kam es dazu?
An heutigen Computern, sei es Smartphone, PC oder Industrierechner, können Sie nicht mehr erkennen, wie ein Computer funktioniert. Das aber wollte ich den Menschen erklären, ihnen das Arbeiten mit dem binären Zahlensystem vor Augen führen. Bis hinunter zum Bit, also bis zur kleinsten Informationseinheit 0/1. Das geht mit der Z3, denn sie arbeitete noch größtenteils mit Relais. Allerdings war die Z3 deshalb auch so groß und nahm das Wohnzimmer meiner Großeltern in Berlin-Kreuzberg ein, wo sie 1944 bei einem Bombenangriff zerstört wurde.
Die Idee zum Nachbau kam mir 2008, eines Abends in unserer Berliner Kiez-Kneipe in Wilmersdorf, dem Kuchel-Eck. Dort saß ich häufig mit meiner Frau Karin und Freunden zusammen. Damals stand meine Pensionierung bevor: Ich würde wieder stärker eigene Ideen verwirklichen können. Und die Z3 war so eine Idee. Auch rückte der damals bevorstehende 100. Geburtstag meines Vaters im Jahr 2010 heran, der ja leider schon 15 Jahre zuvor in Hünfeld bei Fulda starb und dort begraben ist. Ich verwirklichte 2010 dann den ersten Nachbau der ursprünglichen Z3 in Originalgröße, mit modernen elektro-mechanischen Relais Teilen aus Kunststoff und Metall. Ein etwas kleinerer Nachbau steht im Deutschen Museum in München. Er stammt von meinem Vater (1959), ein weiterer, 2000 vollendeter, steht in Hünfeld. Die von mir nachgebaute Z3 führe ich für Besuchergruppen regelmäßig im Deutschen Technikmuseum in Berlin vor – wenn nicht gerade Pandemie ist.
Sie bewegten sich also in ihrem Leben hin nach Berlin, wo sie wohnen und früher auch Informatik an der hiesigen Technischen Universität lehrten. Geboren wurden Sie aber im Allgäu…
Unsere Familie floh in den letzten Kriegsmonaten aus Berlin, nach einer abenteuerlichen Fahrt per Lkw über Göttingen und dann weiter nach Süden bis an den Alpenrand nach Hindelang bei Oberstdorf. Dort wurde ich am 17. November 1945 geboren. Mit im Berliner „Gepäck“ meiner Eltern war übrigens die Z4, der Nachfolge-Computer der Z3, mit dem mein Vater nach dem Krieg als Unternehmer begann. Für einen Firmenstart war es in Hindelang schon aufgrund der Stromversorgung nicht günstig. Erst in Hopferau, ca. 50 km nördlich, konnte er die Z4 1946 in Betrieb nehmen, da ein Kraftwerk in Österreich den Strom lieferte, mit dem das „Start Up“ meines Vaters für die weitere Entwicklung der Z4 arbeitete. Die hatte eine Leistungsaufnahme von 4.000 Watt. An die Zeit dort erinnere ich mich nur noch vage, aber gern. Heute noch fahre ich mit meiner Frau gern dorthin in Urlaub.
„Mein Sohn braucht das“, sagte er dann. Da waren alte Relais und ähnliche Sachen dabei,
die ich gut gebrauchen konnte – so für eine Märklin Eisenbahn, die ich digital flott machte.
Die Familie zog dann nach einigen Jahren vom schönen Alpenrand ins eher unscheinbare Mittelhessen. Warum eigentlich?
Nach dem Krieg war es nicht einfach, an gute Räumlichkeiten zu kommen, sei es nun fürs Wohnen oder zum Arbeiten, für Unternehmen. Die Mutter eines Geschäftspartners meines Vaters lebte bei Neukirchen Kreis Hünfeld, die sagte, da sei was frei, nämlich eine alte Postrelaisstation zum Pferdewechsel. So war es dann auch, und so kamen wir nach Mittelhessen. Das Haus-, nahe der belebten Bundesstraße und nicht weit von der Bahnstrecke lag – für heutige Verhältnisse - nicht unbedingt romantisch. Doch für die Familie war es seinerzeit ein Idyll, wenige Jahre nach dem Krieg. Die Mutter und die Schwester Konrad Zuses, also meine Oma und meine Tante, kamen später übrigens von Berlin nach Neukirchen Kreis Hünfeld nach, wo wir ab 1949 lebten. Wie mein Vater, so hatte auch meine Tante studiert. „Sie war intelligenter als ich“, pflegte mein Vater über seine Schwester zu sagen, die leider früh verstarb.
Wie war ihre Kindheit dort?
Ich war ein neugieriger Junge. Schon mit fünf, sechs Jahren durfte ich in die Produktionsstätten und ins Lager des Unternehmens Zuse KG und dort zuschauen, was die machen, Ausschuss kam ins Auto meines Vaters. „Mein Sohn braucht das“, sagte er dann. Zu Hause sortierte ich weiter aus. Da waren alte Relais und ähnliche Sachen dabei, die ich gut gebrauchen konnte – so für eine Märklin Eisenbahn, die ich schon in den fünfziger Jahren bekam und digital flott machte. Ich war der erste, der eine digital gesteuerte Märklin Eisenbahn gebaut hat. Es ließen sich neun Züge durch Lochstreifen steuern. Jedes Signal und jede Weiche konnte eigens angesteuert und gelenkt werden.
Ihr Vater war damals fiel auf Akquise und Markterschließung für seine Computerfirma, die Zuse KG unterwegs, die in der Spitze mehr als 1.000 Mitarbeiter hatte. Da sahen Sie ihn kaum noch, oder?
Doch, doch. Häufig durfte ich ihn auf seinen Fahrten begleiten, wenn Schulferien waren, so ab Mitte der fünfziger Jahre. In seinem VW Käfer fuhren wir dann lange Strecken. In einer Zeit, da viele Brücken noch nicht wieder standen, war das Reisen kompliziert. Für die Fahrt von Fulda nach München brauchte man gut zehn Stunden. Wo heute Talbrücken über den Main stehen, ging’s damals ab ins Tal und dann wieder den Berg hinauf. So sah ich in einer Zeit, da Urlaub für die meisten Deutschen noch ein Fremdwort war, ziemlich viel vom eigenen Land.
Später zogen Sie als Student Mitte der 60er Jahre ins ummauerte West-Berlin...
Ich kam von der Provinz in die Großstadt. Dort war für mich alles neu. Ein Zimmer fand ich in der Nähe von Uni und Ku’damm. In Berlin klafften damals noch die Zerstörungen des Bombenkrieges. Das galt auch für die heutige Technische Universität, an der schon mein Vater studiert und der mir zugeraten hatte. Ein Studium der Informatik war damals noch nicht möglich, und so schrieb ich mich für Elektrotechnik ein. Im Akademischen war es nach Abi und Wehrpflicht in der Bundeswehr schon eine Umstellung, bis man sich an die Art der Professoren gewöhnt hatte. Unter ihnen war der Name Zuse im Übrigen durchaus ein Begriff, zumal mein Vater dort die Ehrendoktorwürde verliehen bekommen hatte. Ich war aber auf mich allein gestellt und hatte mich zu behaupten. Meine Diplomarbeit hatte dann schon ein Informatikthema.
Bei „den 68er“ wurde die Computerentwicklung unheimlich angefeindet. Zum Beispiel, als eine Z22 an der Universität in Betrieb ging, das erste elektronische Gerät der ZUSE KG.
Ganz in den Fußstapfen des Vaters also?
Nicht ganz. Im Berlin der Studentenbewegung hatte ich als junger Mann da schon unterschiedliche Auffassungen, so im Politischen. Man darf aber auch nicht vergessen: Bei „den 68er“ wurde die Computerentwicklung unheimlich angefeindet. Zum Beispiel, als eine Z22 an der Universität in Betrieb ging, das erste elektronische Gerät der ZUSE KG. Von heute auf morgen wurden zahlreiche Arbeitsplätze in der Buchhaltung überflüssig. Das war ein ganz heißes Thema. Später kam dann übrigens so mancher der Zuse-Rechner von der TU ins Technikmuseum in Kreuzberg. Und was die Fußstapfen angeht: Technisch war seinerzeit zu bedenken: Die Softwareentwicklung wurde immer wichtiger und auf diesem Gebiet spezialisierte ich mich auch.
In meiner Doktorarbeit beschäftigte ich mich mit Softwarekomplexitätsmaßen. Das war damals – in der Frühzeit der Programmiersprachen - ein riesiges Thema. Vereinfacht gesagt geht es darum: Sie schreiben ein Programm, das funktioniert für eine konkrete Anwendung. Doch wer versteht es Jahre später noch, wenn der Autor des Programms nicht mehr im Unternehmen ist? Das ist eine Frage des Wissenstransfers im Unternehmen und für die Wartung der Rechner enorm wichtig. Die Frage hat auch didaktisch-psychologische Aspekte. In meiner Doktorarbeit ging es darum, diese Probleme mit mathematischen Methoden zu erfassen. Heute, da sich die Programmiersprachen rapide weiter entwickelt haben, spielt das keine Rolle mehr. Damals aber war es ein Top-Thema.
Wie ging es für Sie dann weiter?
Nach der Promotion im Jahr 1986 erhielt ich die Möglichkeit, für eineinhalb Jahre in den Vereinigten Staaten zu arbeiten und zu forschen, Das erste Jahr verbrachte ich am IBM Entwicklungszentrum nördlich von New York. Ein weiteres halbes Jahr verbrachte ich an der Universität von Louisiana in Lafayette. Die Zeit in den USA war die vielleicht schönste Zeit meines Berufslebens. Bei IBM hatte ich eine PostDoc-Stelle und kam auch viel im Land rum.
Konrad Zuse stellte die These auf, dass das Universum
ein gigantischer digitaler Computer sei.
Sie sind vom Forscher für Wissenstransfer bei der Software quasi in späteren Jahren zurück zur Hardware, zur Z3 gekommen?
Gewissermaßen, das könnte man so sagen. Als mein Vater noch lebte war ich Forscher. Mein Spezialgebiet waren Softwarequalitätsmessungen. Die Wende kam, als er starb. Nach seinem Tod 1995 bekam ich immer mehr Anfragen zu seinem Leben und Werk. Da habe ich mich gern drum gekümmert. Zugleich wollte ich aber auch das Werk meines Vaters in den Zusammenhang internationaler Trends stellen. So entwickelte ich von 1996 bis 1998 eine Multimedia Show. Eine Simulation mit der Z3 als erstem programmierbaren, auf dem binären Gleitkommasystem basierenden Computer war das Herzstück. Zur Multimediashow gehörten auch die Beiträge amerikanischer Forscher wie Aiken, Mauchly und Atanasoff oder auch Erfindungen aus England. Mit seinen Computern war mein Vater seiner Zeit um rund zehn Jahre voraus.
Doch er hatte neben dem Computerbau noch andere Visionen, so für den Bau neuartiger Maschinen, wie den Helixturm. Eine weitere große Leidenschaft war die Kunst. Anfang der 60er Jahre richtete er sich in Hünfeld ein Atelier ein, wo er ohne Ende gemalt hat. Nach dem Untergang der Firma (1964) hat er sich dafür noch mehr Zeit genommen. Rund 1.400 Bilder sind so entstanden. Schon als Student in Berlin hat er übrigens dieses große Talent für die Malerei gepflegt und damit auch Geld verdient.Aktuell – Corona hin oder her – hat die Digitalisierung der Industrie weiter an Fahrt aufgenommen. Für die Verbraucher, aber auch für Unternehmen, gewinnen – zumal in der Pandemie – digitale Plattformen immer mehr an Bedeutung. Wie beurteilen Sie die Entwicklung?
Die Prinzipien des ersten Digitalrechners von Konrad Zuse sind die gleichen, die heute im Miniaturformat in PCs oder Smartphones genutzt werden. Nicht umsonst haben sich Verbünde wie die Zuse-Gemeinschaft nach meinem Vater benannt! Die Digitalisierung hat sich als Erfolgskonzept herausgestellt – bringt mit ihren Möglichkeiten aber auch neue Aufgaben mit sich.
Schon 1957 hat Konrad Zuse in seinem Ehrenpromotionsvortrag in Berlin über sich selbst reproduzierende Systeme und Fabriken vorgetragen, heute ein Aspekt dessen, was wir Industrie 4.0 nennen. Und Konrad Zuse blickte in seinem Buch „Der Rechnende Raum“ 1969 mit der Digitalisierung ins Universum und stellte die These auf, dass das Universum ein gigantischer digitaler Computer sei. 1969 eine sehr gewagte Hypothese, heutzutage ein Top-Diskussionsthema in der Astrophysik.
Das Interview führte Alexander Knebel, Pressesprecher
Dieser Text erschien in der Ausgabe 02/2021 der ZUSE TRANSFERNEWS, dem kostenlosen Newsletter der Zuse-Gemeinschaft.