Gesamtansicht der Laborspinneinheit. Bildquelle: Cetex

Sie ist eine der ältesten Kulturtechniken. Was mit Handarbeit am Spinnrad seinen Anfang nahm und später mit der boomenden Textilbranche symbolhaft für die frühe Industrialisierung stand, hat in Deutschland heute seine Stärken in Forschung und Entwicklung: Die Spinnerei-Technik. Angewandte Forschung aus der Zuse-Gemeinschaft liefert nicht nur innovative Verfahren für Industrieunternehmen, sondern ist auch Wegbereiter für Neuerungen im Maschinenbau.

Schon fast 200 Jahre alt ist das Prinzip des Ringspinnens: Ein feines Garn entsteht, indem ein Fasermaterial innerhalb eines Streckwerkes auseinandergezogen, nämlich verstreckt, anschließend gleichmäßig verdreht und mit Hilfe eines auf einem Ring rotierenden Metallbügels – dem Ringläufer – auf eine Hülse aufgewunden wird, die auf einer rotierenden Spindel steckt.

Diese prinzipielle Funktionsweise der Ringspinnmaschinen hat sich über Jahrzehnte hinweg kaum verändert. Doch sind die Maschinen immer größer geworden. Hunderte Fäden laufen parallel und gleichzeitig durch die Maschinen, um sie für Bekleidung oder zur Herstellung technischer Textilien in der Industrie zu verarbeiten. Jeder einzelne Faden kommt an einer sogenannten Spinnstelle zur Verarbeitung. Heute besitzen solche Industriemaschinen mittlerweile bis zu 1800 Spinnstellen und können mehr als  60 m lang sein.

6 Spinnstellen statt 1800
Gemessen an solch schierer Größe nimmt sich eine Entwicklung des Forschungsinstituts Cetex wie ein Zwerg aus: Die Laborspinneinheit der Chemnitzer Textilforscher verfügt über gerade mal sechs Spinnstellen und passt somit in jedes noch so kleine Labor. Diese Überschaubarkeit ist jedoch Programm und Stärke. Denn für Forschung und Entwicklung bietet sie viel mehr als eine moderne Ringspinnmaschine für die Industrieproduktion.

Die Streckwerksmodule mit ihren Walzen und damit die Schlüsselelemente für die Verarbeitung der Faser zum Faden lassen sich in der Cetex-Einheit ohne großen Aufwand austauschen. Wahlweise drei gängige Streckwerkstypen sind installierbar, je nach Rohstoff, Faserlänge und gewünschten Garneigenschaften.

Von S bis Z
Beispiel Garntypen: Seit ca. Ende der 1970er Jahre sind sogenannte Siro-Garne auf dem Markt. Geschätzt werden diese Garne u. a. wegen ihrer besonderen Charakteristik und der verfahrensbedingten Einsparungen. Denn mit ihnen verdoppelt sich die Produktionsleistung pro Spindel nahezu. Das Besondere: Auf der Maschine werden pro Spinnstelle im Streckwerk zwei Vorgarne getrennt verstreckt und nach dem Streckwerk miteinander vereinigt. Durch das entstandene zwirnähnliche Garn entfällt der zusätzliche Zwirnprozess.

Und dann ist da noch der Dreh mit dem Garn: Ausschlaggebend für die Festigkeit eines Garns sind seine Drehungen, welche grundsätzlich in zwei Richtungen eingebracht werden können: Dreht sich die Spindel im Uhrzeigersinn, entsteht beim Aufwinden des Garns eine Rechtsdrehung („Z-Garn“). Linksdrehungen („S-Garn) entstehen, wenn sich die Spindel in entgegengesetzter Richtung dreht, also links herum. Auch andere Spezialgarne wie Core-Garn oder Effektgarn eignen sich mit entsprechender Software und Zusatzeinrichtungen zur Produktion auf der Laborspinneinheit.

Für Entwickler und Studierende in Liberec
Cetex Erfolgsgeschichte Spinnerei Bild2 BeitragCetex-Projektleiter Toralf Jenkner bei Einstellarbeiten am Streckwerk. Bildquelle: Cetex Mit der Cetex-Spinnmaschine lässt sich ein Streckwerk auf seine Eignung für spezielle Garne und spätere Produkteigenschaften testen, aus der Maschine zügig ausbauen, durch eine Alternative ersetzen und mit ihr vergleichen. Drei verschiedene und stark verbreitete Streckwerkstypen lassen sich so problemlos testen.

Das hat sich rumgesprochen. Einsatzbereit ist eine neue Forschungsspinnmaschine von Cetex jetzt auch im tschechischen Liberec. "Wir freuen uns, dass wir die Maschine nach coronabedingter Verzögerung Anfang August mit den tschechischen Kolleginnen und Kollegen in Betrieb nehmen konnten. Sie wurde im Textillabor der Fakultät für Textiltechnik der Technischen Universität installiert und nach einer umfangreichen Einweisung an die Mitarbeitenden übergeben. Neben der Entwicklung von Spezialgarnen soll die LSE 2000-2 auch für die Ausbildung der Studierenden im Bereich spezieller Anwendungen der Spinntechnik, Stichworte sind hier u.a. Nähgarne und Effektgarne, zum Einsatz kommen", erklärt Cetex-Projektleiter Toralf Jenkner.

Studierende ebenso wie Entwickler können die mit EU-Förderung erworbene Maschine nutzen. Und wenn's Fragen gibt, brauchen die Chemnitzer Erfinder nicht unbedingt anreisen. Die Fernwartung des Laborspinners macht‘s möglich.

Digitalisierung ermöglicht Fernwartung
Textiltechnisches Knowhow des Maschinenherstellers lässt sich direkt zum Kunden bringen. Das ist ein Plus nicht nur in Corona-Zeiten, sondern generell bei der FuE-Kooperation von Wissenschaft und Wirtschaft über große Distanzen. Erstmals installierte Cetex das Fernwartungsmodul seiner Laborspinneinheit 2019 für das Unternehmen Milliken im US-Bundesstaat South Carolina. Mit Erfolg.

Das weltweit tätige Chemie- und Textilunternehmen aus Spartanburg setzt die Cetex-Anlage mit einem 4-Walzen-Streckwerk seitdem im Textillabor seines Prototype Centers für die Entwicklung und Verfahrensoptimierung ein.

Cetex Erfolgsgeschichte Spinnerei Bild3 BeitragModularer Aufbau der Laborspinneinheit. Bildquelle: Cetex„Bei der Fernwartung kommt eine Vorrichtung für Sicherheit in der Industrie von Siemens zum Einsatz, die industrielle Netzwerke und Automatisierungssysteme durch die Segmentierung des Netzwerks und durch das Etablieren sicherer Kommunikationskanäle schützt“, erläutert Cetex-Geschäftsführer Sebastian Nendel. Damit könne bei Bedarf über das Internet auf alle Netzwerkkomponenten der Laborspinneinheit zugegriffen werden.

Bei allen Exporterfolgen bleibt festzuhalten: Textile FuE ist in Deutschland gerade an Standorten stark, in denen einst die klassische Textilproduktion eine Macht war. Sachsen ist dafür ein Beispiel. Neben Cetex sind hier weitere gemeinnützige Forschungseinrichtungen wie u.a. das Sächsische Textilforschungsinstitut (STFI) ansässig. Ein weiteres Beispiel ist Baden-Württemberg, wo u.a. die Deutschen Institute für Textil- und Faserforschung (DITF) oder das Institut Hohenstein beheimatet sind. Sie alle sind übrigens Mitglieder der Zuse-Gemeinschaft.

Alexander Knebel, Pressesprecher
Stand: August 2021