Menschen in der Forschung

Zuhause in Adlershof: Die Arbeit an der GNF ist für Tobias Gerhardt Wissenschaft mit kurzen Wegen. Im Technologiepark im Südwesten der Stadt sind Forschungspartner der GNF ebenso zu Hause wie die Chemie-Fakultät der Humboldt-Universität, an der er 2017 seinen Master ablegte.

Tobias Gerhardt weiß schon sein junges halbes Leben lang, was sich hinter der Gesellschaft zur Förderung der naturwissenschaftlich-technischen Forschung (GNF) verbirgt. Als Achtklässler machte sich der Gymnasiast zusammen mit seiner Oma auf den Weg von der Schule über die längste Straße Berlins - das Adlergestell im Bezirk Köpenick, das sich quer durch den Südosten der Hauptstadt zieht.

Sein Ziel: Ein Schülerpraktikum im jungen Technologiepark Adlershof, wo sich gerade die Naturwissenschaften der Humboldt-Universität ansiedelten. Firmen und Forschungsinstitute waren schon da, die GNF seit 1990 - dem Geburtsjahr Gerhardts. „Als ich dort 2004 als Schüler aufschlug, war die GNF neben ihren heutigen Fokusthemen Baustoffchemie und Wasserwirtschaft noch auf vielen anderen Gebieten unterwegs“, erzählt Gerhardt. "Mir gefällt es, dass wir heute neben der praxisorientierten Forschung bei vielen unserer Projekte auch konkrete Produkte vor Augen haben, in die unsere Forschung mündet und die auch vermarktet werden können.“

Gelungen ist der GNF eine solche Vermarktung mit einem Filtermaterial für Swimmingpools. Solche Erfolge sind in Adlershof, wo Hightech-Firmen, Uni-Fakultäten und Forschungsinstitute Nachbarn sind, nichts Ungewöhnliches. Für Tobias Gerhardt ist es Ansporn und Ermutigung zugleich.

Vom Schülerpraktikanten zum Beisitzer im Vorstand

„Bei meiner Arbeit kommt es darauf an, Versuche gut zu konzipieren, zu planen, durchzuführen und auszuwerten. Die Versuche macht man oft allein, aber sich über die Ergebnisse mit Kolleginnen und Kollegen auszutauschen ist für die Analyse ganz wichtig“, sagt der Wissenschaftler, der sein Chemie-Studium 2017 an der benachbarten Chemie-Fakultät der Humboldt-Universität abschloss.

Von seinen ersten zwei Wochen bei der GNF brachte er als Schüler einst am Ende seines Praktikums einen Eimer voller Glas-Instrumente mit nach Hause. Mit den Kolben, Zylindern und Gläsern hat er dann „ziemlich viel experimentiert“. Vom Eimer von damals ist nichts mehr übrig. Kein Wunder: „In der Chemie geht häufiger mal was kaputt.“ Intakt ist sein Spaß am Experimentieren. Ich war schon immer der Typ, der eher im Labor steht“, erzählt der Berliner bescheiden.

Doch steht er mittlerweile beileibe nicht nur an Klimaschränken und Reagenzgläsern. Nach seinem Vollzeit-Einstieg  bei der GNF 2016 ist er dort auch Beisitzer im Vorstand, wo sich die Führung des Forschungsinstituts berät, „an der Schnittstelle von Chemie und Ingenieurwesen“, so Gerhardt. Seine Arbeit reicht vom Konzipieren der Projektanträge bis zum Verkabeln von Versuchsanordnungen oder, wie Tobias Gerhardt es sagt: „Vom Steine durchsägen bis zum Löten ist alles dabei.“

Analysen im Mikrometer-Bereich

Künftig wird der Chemiker aber weniger zu Steinsäge oder Lötkolben greifen, sondern viel häufiger im Elektronenmikroskop nach eingefärbtem Mikroplastik schauen. Denn die Kunststoffreste, denen Gerhardt auf der Spur ist, reichen vom Millimeter großen Partikel herunter bis in den Mikrometer-Bereich, der winzigste Teilchen von wenigen Tausendstel Millimeter Größe erfasst. Die fürs bloße Auge unsichtbaren Fremdkörper macht der Chemiker mit Farbstoffen sichtbar, um dadurch Aufschluss über deren Verhalten und Bewegungen in anderen Stoffen zu bekommen.

„Wenn ich am Strand bin,
gehe ich jetzt selbst Plastikmüll aufsammeln.“

 

Im Gespräch in seinem Büro holt der junge Mann sein Laborbuch hervor. Aufgenommen hat er darin auch Fotos und Mikroskopaufnahmen von der Rügener Küste, wo er im Urlaub am Strand Sandproben gesammelt und diese dann später analysiert hat. „Das alles hier ist Mikroplastik“, sagt er deutend auf dunkle Einsprenksel auf den Sand-Bildern. Anfangs war er über die Fülle der Funde an der Ostsee selbst überrascht. „Das macht was mit einem. Wenn ich am Strand bin, gehe ich jetzt selbst Plastikmüll aufsammeln.“

Zuhause an der GNF hat er sich für die Mikroplastik-Forschung zwei Ziele gesetzt: Bei der Analyse von Mikroplastik schneller und besser zu werden, als es bisher möglich ist.

Tenside gegen Biofilm auf Mikroplastik

Einmal in die Natur gelangt, überzieht sich Plastik schnell mit einem Biofilm, von dem es sich nur schwer befreien lässt. Gerhardts Rezept: Tenside mit ihrer Oberflächenspannung reduzierenden Wirkung einsetzen. Wie genau er dabei vorgeht, will er nicht preisgeben und verrät nur: „Die Mischung zweier verschiedener Tenside bringt oft ganz andere Eigenschaften mit sich als die jeweils isolierte Nutzung der einzelnen Stoffe.“ Vom Biofilm befreit lassen sich verschiedene Plastiksorten dann zuordnen, so Gerhardts Erwartung. Die verknüpft er mit dem Anspruch, die derzeitigen Analysezeiten beim Mikroplastik von vier auf eine Woche zu verkürzen und sieht das GNF-Team dafür auf gutem Weg.

„Vom Gullideckel bis zum Abwasserkanal
gibt’s dort eine anspruchsvolle Testumgebung.“

 

Um Mikroplastik gar nicht erst ins Meer oder in Flüsse gelangen zu lassen, hofft der Chemiker auf den erfolgreichen Einsatz von Filtern. Wie das mit welchen Materialien und in welchem Umfeld gelingen kann, möchte die GNF in einem Projekt zusammen mit der TU Berlin erforschen. Ein Ansatz: Das Filtermaterial für das Einfangen von Plastik und Mikroplastik entwickeln und dessen Verhalten unter verschiedenen Umweltbedingungen testen. „Mit so einem Partner zusammenzuarbeiten, wäre für uns eine tolle Gelegenheit, die Forschung zur Vermeidung von Mikroplastik ein Stück weit voranzubringen. Davon könnten z.B. Gemeinden und deren kommunale Betriebe in der Abwasserreinigung profitieren“, zeigt Gerhardt sich optimistisch und freut sich auf die Aussicht auf die großzügigen Versuchsanlagen an der Hochschule und deren technische Ausstattung. „Vom Gullideckel bis zum Abwasserkanal gibt’s dort eine anspruchsvolle Testumgebung“, freut sich Gerhardts Forschergeist.

Während ihn seine Arbeit als Chemiker zunehmend überregional und international vernetzt, hat sich der Aktionsradius von Tobias Gerhardt in Berlin bisher kaum vergrößern müssen. Schule und die Uni lagen vom Zuhause und vom Technologiepark nicht weit. Heute radelt er vom nordwestlicher gelegenen Baumschulenweg die wenigen Kilometer ins Büro und Labor. Und noch etwas hat sich in all den Jahren, in denen GNF und Tobias Gerhardt älter geworden sind, nicht verändert: Bei der GNF ist Tobias Gerhardt mit seinen erst 29 Jahren immer noch der jüngste.

 GNF Gerhardt Mikroplastik im UVLicht online Bildquelle Knebel ZuseGemeinschaft

Mikroplastik mit UV-Licht auf der Spur: Im Becherglas, das Tobias Gerhardt in der rechten Hand hält, ist der Kunststoff Polypropylen mit Farbstoff markiert. Wird der Farbstoff mit UV-Licht bestrahlt, beginnen die Kunststoffteilchen zu leuchten. Für Gerhardt sind Farbstoffe wichtige Werkzeuge für seine Arbeit zur Bestimmung und Vermeidung von Mikroplastik in der Umwelt.