Menschen in der Forschung

Sophia Gelderblom und Julia Ullrich nutzten Videokonferenzen schon vor Corona. Die beiden Wissenschaftlerinnen von Instituten der Zuse-Gemeinschaft leben 500 Kilometer entfernt voneinander, die eine in Aachen in NRW, die andere im thüringischen Greiz.

Kennen und schätzen lernten sie sich über das Projekt ZusaNnah der Zuse-Gemeinschaft. Beim Auftaktmeeting für Mentorinnen und Mentees trafen sie sich 2018 in Halle. „Wir waren uns auf Anhieb sympathisch“, sagt Sophia Gelderblom. Sind sie mittlerweile Freundinnen geworden? Sie tauschen sich zu vielen Dingen aus, persönlich und fachlich, als Austausch unter zweien. Punktuell lässt sich da mit Blick auf bestimmte Projekte der Kreis auch auf weitere Kolleginnen und Kollegen öffnen, doch ist das nicht das Ziel des Projekts gewesen. Besteht weiter Bedarf an solchen Netzwerken für Frauen? „Männer haben ihre Netzwerke. Für Frauen besteht da immer noch Nachholbedarf“, finden beide. Im Doppelinterview erzählen sie von ihren Erfahrungen als erfolgreiche Wissenschaftlerinnen in häufig von Männern dominierten Berufsfeldern. DSC 2828Einfädeln und ….............................. Bildquelle: TFI

Julia Ullrich trägt am Textilforschungsinstitut Thüringen-Vogtland (TITV) als Projektmanagerin die fachliche Verantwortung für den Bereich Galvanik. Im August erwartet sie ihr erstes Kind. Nach dem Erziehungsurlaub will sie danach wieder in den Beruf einsteigen. Das hat Sophia Gelderblom schon drei Mal geschafft. Und ist in 20 Jahren am Aachener Institut für Bodensysteme (TFI) zur Koordinatorin der Forschungsstelle aufgestiegen, einer Stabsstelle, an der sie die Fäden für die TFI-Projekte zusammenhält.

Sie lernten sich über das ZusaNnah Projekt der Zuse-Gemeinschaft kennen. Wie ging das vor sich?

Ullrich: Frau Gelderblom wurde mir als Mentorin zugeordnet. Zur Auftaktveranstaltung sahen wir uns 2018 zum ersten Mal. Dort lernten wir auch die anderen ZusaNnah-Tandems und die „Dreiergespanne“ kennen. Sophia war mir sofort total sympathisch. Schon als wir uns erstmals über unsere Vorstellungen und Erwartungen unterhielten.

Gelderblom: Nach einem ersten Gespräch hatten wir noch die Option zu sagen ‚Hey, das klappt nicht mit uns, aber ich glaube wir haben beide sofort gemerkt, das passt mit uns! Die Vertrauensbasis war für mich sehr schnell da und ist auch immer sofort wieder da, wenn wir uns sprechen.

Sie sind seit rund 20 Jahren am TFI. Mit welchen Fragestellungen ist Frau Ullrich denn auf Sie zugekommen?

DSC 2839...nicht den Faden verlieren: Sophia Gelderblom an der Tuftingmaschine des TFI. Bildquelle: TFIGelderblom: (gewandt an Julia Ullrich) Du warst ja relativ neu in der Forschungs-Branche. Es ging am Anfang um solch Fragen, wie man sein Standing etablieren kann. Wie man seinen Platz findet, welche Aufstiegschancen bestehen. Wie sich das in die Familiengründung gut einplanen lässt.

Ullrich: Das stimmt. Am Anfang war es viel Allgemeines: Wie läuft das? Wie funktioniert die Forschungslandschaft? Da hat mir ZusaNnah sehr geholfen. Mit dem Wechsel zum TITV wollte ich mich beruflich weiterentwickeln, und da konnte ich von Sophia profitieren. Heute macht mir die fachliche, wissenschaftliche Arbeit ebenso Spaß wie als Generalistin an Projektanträgen oder der Akquise von Aufträgen zu arbeiten, auch wenn ich es hinterher nicht selbst bearbeite. Es ist gut, mehrere Dinge parallel zu machen, auch als Ausgleich. So reduziert sich das Frustpotenzial, z.B. wenn ein Antrag es mal nicht schafft. Ich helfe gern Kollegen und es ist auch gut einen Einblick und Überblick über andere am Institut laufende Aktivitäten und Themen zu haben.

Sie konnten sich also bislang am TITV gut entfalten?

Ullrich: Ich bin ein eher kommJulia Ullrich titv 2Julia Ullrich, Wissenschaftlerin am TITV im thüringischen Greiz. Bildquelle: Privat unikativer Mensch. Und ich hatte auch schon bei meinen Stationen vor dem TITV nie den Eindruck, komplett ausgebremst zu werden, sondern hatte eher das Gefühl Anknüpfungspunkte für meine Themen finden und meine Ziele realisieren zu können. Das Thema Chancengleichheit hat mich aber nicht nur mit Blick auf meine eigene Karriere interessiert, sondern auch, weil ich rechts und links von mir Frauen gesehen haben, die aufgrund ihrer zurückhaltenderen Art nicht so gut weitergekommen sind.  Wenn Frauen in solch einem Programm wie ZusaNnah unter sich sind, hilft das, den Blick auf solche Dinge zu lenken und daran zu arbeiten.

Ist Chancengleichheit also eine Frage der Mentalität?

Gelderblom: Wenn jemand sehr zurückhaltend auftritt, kann das ein Hemmschuh sein. Hier können Projekte wie ZusaNnah helfen, sich selbst, auch im Miteinander mit anderen, besser zu verorten. Doch eine mindestens ebenso große Rolle in Sachen Chancengleichheit, spielen Denkweisen vor Ort und, im Falle von Jobs in der Forschung, die Strukturen an den Instituten. Hinzu kommen die gesellschaftlichen Randbedingungen. In den neuen Bundesländern ist z.B. die Kinderbetreuung häufig immer noch besser, auch ist ein hohes Ansehen von Vollzeit arbeitenden Frauen im Beruf dort weiter verbreitet. Arbeitgeber sollten endlich verstehen, dass es kein Verlust ist, wenn Menschen in Teilzeit arbeiten. Zugleich, das möchte ich betonen, gibt es da  an meinem Institut in Aachen sehr gute Möglichkeiten, z.B. mit Blick auf die Arbeitszeitgestaltung. Am TFI haben wir übrigens auch Männer, die in Teilzeit arbeiten, je nachdem, wie die Bedürfnisse der Kollegen sind.

Ullrich: Am TITV sind wir da auch gut unterwegs. Da tut die Institutsleitung aus meiner Sicht ebenfalls sehr viel. Für mich sind als werdende Mutter nicht zuletzt die Kinderbetreuungszeiten wichtig. Bei uns hier in Thüringen gibt es da gute Bedingungen, nicht nur in Großstädten. Egal wo in Deutschland glaube ich aber auch: Das Bild von Müttern und Vätern im Beruf wandelt sich. Ich nehme da ganz klar Verschiebungen wahr. Schon vor Jahren in Berlin hatte ich einen Kollegen, der neun Monate Elternzeit nahm, da staunten die Chefs erst einmal. Ich fand das klasse, solcher Mut bricht Denkmuster auf.

War das Mentoringprogramm denn auch offen dafür, neben den Pärchen, auf das es zugeschnitten war,  weitere Kolleginnen einzubeziehen?

Gelderblom: Wir haben uns eigentlich nur unter uns gesprochen. Bei unseren Unterhaltungen ist auch einiges an Vertraulichem dabei, das unter uns bleiben sollte. Was nicht ausschließt, dass wir uns fachlich noch mit anderen Menschen austauschen.

Ullrich: Ja, wir besprechen vieles auch privat Relevantes. Für mich bedeutet das, sich von der Alltagsarbeit ein Stück weit zurückzunehmen. Das ist das Plus eines solchen Mentorings und einer solchen Beziehung. Dass ein anderer, vertraulicher Blick möglich wird, der einem das eigene Auftreten und Handeln spiegeln kann. Ohne dass man unter einem Bewertungsmaßstab steht oder Angst vor Missverständnissen haben müsste. Das macht bei uns viel aus. Trotzdem haben Kolleginnen und Kollegen auch von unserem Austausch profitiert, was das Fachliche angeht, zum Beispiel mit Informationen zu bestimmten Förderprogrammen.

Wie wichtig ist in ihrem Austausch das Berufliche, welchen Stellenwert hat das Private?Julia Ullrich titv 1Julia Ullrich bei der Arbeit im Galvanik-Technikum des TITV Greiz Bildquelle: TITV Greiz

Gelderblom: Es ist immer beides, habe ich das Gefühl. Es ist aber nicht so, dass ich immer diejenige gewesen wäre, die Ratschläge gibt und Julia steht mit Fragen da. Es ist ein guter gemeinsamer Austausch, sei es über Organisationsstrukturen an den Instituten, über die Dynamik, die sich entwickelt, wenn neue Leute ins Team oder überhaupt ans Institut kommen. Umstrukturierungen an unseren Instituten, haben wir beide während dieser Zeit erlebt. Sprich, wir haben immer viele Gesprächsthemen gehabt. Es ist ein guter Austausch, der uns beide weiterbringt.

Ullrich: Am Anfang war es eher ein klassisches Mentorin-Mentee-Verhältnis zwischen uns, auch weil es so gedacht war und zumal ich ein Neuling in der Welt der Zuse-Forschung war. Denn als ZusaNnah und unser Tandem starteten, war ich noch nicht lange am TITV, wohin ich von einem Berliner Industrieunternehmen gewechselt war, auch wenn ich ursprünglich aus Greiz stamme. Da habe ich es auch genossen, auf Sophia mit Fragen zugehen zu können. Beim Start am TITV war das Schreiben von Anträgen und die einhergehende Bürokratie schon etwas erschreckend, das ist man in der Industrie nicht so gewöhnt, wo man einen Auftrag bekommt und los geht‘s. Das war eine Umstellung. Mittlerweile habe ich einige Projekte bewilligt bekommen und bin mit dem Mix sehr zufrieden. Ein Förderantrag fordert auch fachlich, das zwingt zum tieferen Nachdenken über Sinn und Zweck eines Projektes als es in der Industrie meist üblich ist.

Wo konnten Sie denn Ihrerseits im Lauf der Zeit helfen, Frau Ullrich?

Ullrich: Da ist zum Beispiel das Förderprogramm INNO-KOM des Bundeswirtschaftsministeriums. Das wurde Anfang 2017 von Ostdeutschland auf alle strukturschwachen Gebiete in Deutschland ausgeweitet. Mit dem Programm haben wir am TITV langjährige Erfahrung, und nun wurde es auch in Aachen und anderen westdeutschen Regionen verfügbar. Da waren wir natürlich gefragt. Mittlerweile ist es mit Sophia ein richtig guter Austausch über ganz viele andere Dinge, auch jenseits des Jobs, Gerade mit meiner bevorstehenden Elternzeit und dem späteren Wiedereinstieg in den Beruf ist Sophia für mich eine große Hilfe, weil sie Teamleitung im Job und Familie mit Kindern gut meistert.

DSC 2874Im TFI-Bewertungsraum: Hier finden z.B. Prüfungen von Bodenbelägen statt. Bildquelle: TFIGelderblom: Am 1. Mai haben wir am TFI übrigens unser erstes INNO-KOM Projekt gestartet, ein Projekt, bei dem wir zusammen arbeiten mit dem Institut für Holztechnologie in Dresden, ein Institut der Zuse-Gemeinschaft. Für uns ist dieses Förderprogramm eine hervorragende Möglichkeit, unsere sehr anwendungsnahe Forschung für nachhaltige und sichere Innenraum-Bauprodukte zu intensivieren.

Frau Gelderblom, Sie sind jetzt 20 Jahre im Beruf, was hat sich aus Ihrer persönlichen Sicht bei der Chancengleichheit getan?

Gelderblom: Es ändert sich einiges, aber es ändert sich langsam. Dinge werden flexibler. Das gilt nicht nur für Frauen und Chancengleichheit, sondern auch für die junge Generation, die anders leben und arbeiten möchte. Gebraucht werden attraktive Modelle, die Fachkräfte in interessanten Betrieben binden, damit sich diese Menschen nach ihren Bedürfnissen und Interessen entwickeln können. Diese Aufgabe geht für Gesellschaft und Unternehmen weit über das Thema Gender Gerechtigkeit hinaus. Das ist ein Wandel in der gesamten Arbeitswelt. Aber das Persönliche ist sehr wichtig. Ich hätte mir am Anfang meiner beruflichen Laufbahn eine Mentorin gewünscht, mit der ich mich hätte beraten können.

Schauen wir noch eine halbe Generation weiter nach vorn: Die verbesserte Teilhabe von Mädchen an MINT-Studiengängen und -Berufen ist ein wichtiges gesellschaftliches Ziel. Wo sehen Sie Möglichkeiten, die MINT-Teilhabe von Mädchen bzw. Studentinnen zu verbessern?

DSC 2856Für leise Sohlen, sanfte Klänge oder auch mal für Lärm: Sophia Gelderblom im Bauakustiklabor. Bildquelle: TFIGelderblom: Das Interesse von Mädchen für die MINT-Fächer müsste frühzeitiger zielgerichtet in der Schule gefördert werden. Immer noch wird der naturwissenschaftliche Unterricht thematisch auf die vorrangigen Interessen von Jungen angelegt. Das ist meine persönliche Erfahrung. Aber auch etwas, das ich zuweilen mitbekomme bei Veranstaltungen wie dem Girls‘ Day.  Bei uns am TFI hatten wir schon öfter Gelegenheit, Mädchen die Arbeit an unserem Institut beim Girls‘ Day zu zeigen. Leider waren in meiner eigenen Schulzeit Physik und Chemie für mich nicht interessant genug gestaltet, so dass ich beides früh abwählte. Meinen Studiengang Textil- und Bekleidungstechnik hatte ich zunächst gar nicht als wissenschaftliches Sprungbrett angesehen, wurde dann aber doch auch von Chemie und Physik gepackt, weil dort einfach textile Themen wie z. B. Färberei behandelt wurden.

Ullrich: Da hatte ich in der Schule an der Stelle mehr Glück. Durch einen sehr engagierten Chemielehrer war mein Interesse an Naturwissenschaften schon früh geweckt. Für mich war dann schon früh klar, dass Mathe und Chemie meine Leistungsfächer fürs Abitur werden. Vor allem anschauliche Experimente und vielseitiger Praxisbezug könnten dazu beitragen, die Naturwissenschaften attraktiver zu gestalten. Bei uns gab’s schon am Gymnasium eine Vortragsreihe, bei der Fachleute, teils ehemalige Schüler oder Eltern, anschaulich von ihrer Arbeit erzählten. Den Wissenschaftsastronauten Ulf Merbold konnte ich dort erleben. Er ist ehemaliger Schüler meines Gymnasiums, das jetzt nach ihm benannt ist. Ich selbst habe mir fest vorgenommen, mich künftig auch persönlich für MINT-Bildung von Mädchen einzubringen, doch muss das jetzt erst mal bis nach der Babypause warten. Ein Mentoring für Schülerinnen könnte ich mir sehr gut vorstellen. Aber auch als Mentorin im Job, so wie es Sophias Rolle für mich am Anfang von ZusaNnah war, könnte ich mich gut einbringen.

Die Fragen stellte Alexander Knebel, Pressesprecher der Zuse-Gemeinschaft.

Stand: Juni 2021