Polyesterfilz mit daran immobilisierter Lipase Bildquelle: Klaus Opwis, DTNW, Krefeld

Im Alltag ist es meist ärgerlich, wenn an Textilien etwas hängen bleibt. Für die Industrie hat jetzt ein Forscherteam aus Nordrhein-Westfalen, Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg aber genau darauf erfolgreich hingearbeitet - indem von Wasser durchströmte Textilien als Haftfläche dienen. Enzyme, die auf den eingesetzten Textilien sitzen, arbeiten dort an Reaktionen zur Produktion wertvoller Chemikalien.

Für die Herstellung vieler Substanzen müssen Chemiker oft Umwege gehen. Denn um Reaktionen in Gang zu bringen, werden häufig weitere Stoffe benötigt, so Enzyme. Die auch als Biokatalysatoren bezeichneten Enzyme können sich an chemische Verbindungen andocken, mit denen sie reagieren, ohne ihren Platz am Textil aufzugeben. Das jedenfalls hat ein Team von Wissenschaftlern und Industrieexperten aus Nordrhein-Westfalen, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern erreicht.

Das Team um das Deutsche Textilforschungszentrum Nord-West (DTNW), einem Mitglied der Zuse-Gemeinschaft, und seinen Partnern von der Hochschule Niederrhein, der Chiracon GmbH aus Luckenwalde und der Enzymicals aus Greifswald eröffnet der effizienten Produktion von Feinchemikalien damit neue Wege. Gefördert wurde das Projekt vom Bundeswirtschaftsministerium im Rahmen des Zentralen Innovationsprogramms Mittelstand (ZIM).

Konkret erreichten die Forscher, die für die chemischen Reaktionen benötigten Enzyme am Textil zu fixieren und damit die Effizienz der Reaktion zu erhöhen. Ein Enzym, mit dem dies gelang, ist das im Bild zu sehende Enzym Lipase an einem Polyesterfilz.

Ebenso gelang den Forschenden die Entwicklung eines Durchflussreaktors. In diesem Reaktor strömen Flüssigkeiten, die sich ihren Weg entlang der Textilien bahnen, an denen die Enzyme anhaften. Sozusagen im Vorbeifließen reagieren die in der Flüssigkeit gelösten Stoffe zu den gewünschten Produkten. Auf diesem Weg lassen sich hochreine Spezialchemikalien herstellen, die u.a. in der Pharmabranche ihre Abnehmer haben.

Großer Vorteil der von den Forschern als Haftfläche verwendeten Textilien aus z.B. Polyester: Sie sind kostengünstig und gut am Markt erhältlich, verfügen über Festigkeit und sind trotzdem flexibel. Sie sind durchlässig und haben dennoch eine große aktive Oberfläche.

Textil als Heimat für Enzyme zur Arbeit mit molekularen Zwillingen
KlausOpwis DTNW Bildquelle Knebel ZuseGemeinschaftKlaus Opwis, Leiter der Arbeitsgruppe Umwelttechnologie & Katalyse am Deutschen Textilforschungszentrum Nord-West in den Labors des gemeinnützigen Instituts in Krefeld. Bildquelle: Zuse-Gemeinschaft

Für Enzyme können solche Textilien nun Heimat sein: Dort erkennen sie wie ein Schlüssel, der genau ins Schloss passt, die Struktur bestimmter chemischer Stoffe und können so auch „molekulare Zwillinge“ der jeweiligen Verbindungen auseinanderhalten. Diese Zwillinge werden Enantiomere genannt, sie sind chemisch nahezu identisch, verhalten sich aber wie Bild und Spiegelbild zueinander. Ein bekanntes Beispiel ist Carvon. Der eine molekulare Zwilling riecht nach Kümmel, der andere nach Krauseminze. In ihrem Forschungsprojekt erreichten die Forschenden um das DTNW, dass die Reaktion in dem von ihnen entwickelten Durchflussreaktor enantioselektiv verläuft. Das heißt, es bildet sich nur eines der beiden möglichen Spiegelbilder der Moleküle. Das erhöht die Effizienz der eingesetzten Enzyme sprunghaft. Denn für kommerzielle Anwendungen, sei es z.B. in der Medizin oder in der Industrie, ist meist nur jeweils ein Partner des sehr ähnlichen Molekülpaares erwünscht.

„Trotz großer Fortschritte in unserem Forschungsprojekt ist auf dem Weg zum kommerziellen Produkt noch ein gutes Stück Weges zurückzulegen“, bilanziert Klaus Opwis, Leiter der DTNW-Arbeitsgruppe Umwelttechnologie und Katalyse. Weiter verbessert werden könnten Aktivität und Stabilität der Enzyme am Textil. „Wir sind optimistisch, dass sich die Umsatzraten weiter steigern lassen“, sagt der Chemiker und zeigt sich hoch zufrieden mit der Kooperation.

Beim Unternehmen Enzymicals wurde die Durchfluss-Technologie durch das Projekt erfolgreich etabliert. „Wir hatten schon länger Kontakt zur Hochschule Niederrhein. Diese hat die Partner aus Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern auf einer Messe kennengelernt, bevor wir uns dann für das Projekt zusammenfanden“, erläutert Opwis die erfolgreiche Zusammenarbeit.

Aufgezeichnet von Alexander Knebel, Pressesprecher

Stand: September 2020